Freitag, 12. Januar 2018

Der Festredner vom Akademikerball


1. Reminiszenz an eine gemeinsame Zeit 

Gegen Jahresende (am 29. Dezember 2017) wurde er in den Mittags­nachrichten des Fernsehens kurz erwähnt: Dr. Andreas Hauer, derzeit Universitätsprofessor für Öffentliches Recht und Leiter des Instituts für Verwaltungsrecht und Verwaltungslehre an der Johannes Kepler Universität Linz.1)
1) (s. dazu etwa: http://www.vwrecht.jku.at/institut/universitaetsprofessoren/andreas_hauer/) 

So erinnerte ich mich wieder an ihn. Vor längerer Zeit (Hauer war damals noch nicht Universitätsprofessor) hatte ich ein-zwei Jahre lang beruflich mit ihm zu tun. Ein "auffällig unauffälliger" Jurist war er; unpersönlich, trocken; ein Mensch, mit dem sich der Kontakt auf rein formale Angelegenheiten unserer Tätigkeit beschränkte und zu dem kein näherer Zugang zu finden war; wobei wohl zuge­ge­bener­maßen auch gar kein Bedürfnis danach bestand – vermutlich beiderseits nicht. Später (und allerspätestens jetzt) wurde mir bewusst, dass dies nur folgerichtig (und gut) war: Uns trennten ideologisch (und sicher auch mentalitätsmäßig) Welten. Und er hatte das wahrscheinlich viel schneller durchschaut als ich. Mir wurde manches erst nach einiger Zeit klarer – vor allem, als mir konkrete Details über seine (vornehm ausgedrückt) restriktive Haltung in Fragen des Asyl- und Fremden­rechts bekannt wurden. (Mir gegenüber hat er sich diesbezüglich ja nie geäußert, obwohl wir täglich Zimmer an Zimmer nebeneinander arbei­teten.)

Als sich unsere beruflichen Wege trennten, hatten Hauer und ich keinen weiteren Kontakt mehr, und seine Person und sein Name waren längst wieder aus meinem Bewusstsein verschwunden.

Bis ich eben vor einigen Tagen in den Fernsehnachrichten wieder von ihm hörte. Erwähnt wurde er deshalb, weil er ein aussichtsreicher Kandidat für die Besetzung einer frei werdenden Richterstelle am Verfassungsgerichtshof sein soll. Sofort dachte ich mir: Das kann (jedenfalls aus linker Sicht) nichts Gutes bedeuten. Wobei dieses spontane Unbehagen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht so sehr mit der konkreten Person und den Eindrücken, die ich seinerzeit von ihr gewonnen hatte, zusammenhing. Es beruhte primär darauf, dass die FPÖ bei diesen Besetzungen politisch ein Mitspracherecht für sich reklamiert hat. (Dies aufgrund ihrer nunmehrigen Regie­rungs­beteiligung bzw. ihrer parlamentarischen Stärke übrigens durchaus nahe­lie­gen­derweise. Denn es ist illusorisch zu meinen, eine durch politische Organe – nämlich Bundesregierung bzw. Nationalrat bzw. Bundesrat – vorzunehmende Auswahl von Verfassungsrichter/innen könnte "politikfern" stattfinden.)

Mein erwähntes Unbehagen veranlasste mich, im Internet ein bisschen über Herrn Professor Hauer nachzu­forschen; und das lieferte bemerkenswerte und gleichzeitig eindeutige Resultate über seine ideologische Positionierung. Mein Unbehagen wandelte sich jedenfalls in Entsetzen und klare Abneigung gegen all das, was sich da unter der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung in politischer und gleichzeitig eben auch juristischer Hinsicht zusammenbrauen dürfte. 


2. Festrede am Akademikerball 

Nach außen hin "auffällig unauffällig" war Hauer seinerzeit als Arbeitskollege (und er ist es vielleicht auch heute noch bei seiner Lehrtätigkeit an der Universität) – bei anderen Anlässen zeigt er hingegen ganz offen und unmissverständlich, was in ihm ideologisch und menschlich steckt.

So hat Hauer im vergangenen Februar die Festrede am "Akademikerball" gehalten – einer jährlich in der Wiener Hofburg stattfindenden Veranstaltung, die nach Eigen­definition ein "gesellschaftlicher Treffpunkt von Studen­ten­schaft, Bürgertum, Wirtschaft und Politik" 2) ist. In der Realität ist es eine Versammlung von Mitgliedern des politisch rechten (bis weit rechten) Lagers. Das sieht man schon allein daran, wer den Ball organisiert(e): Von 1952 bis 2012 wurde er "von farbentragenden und mehrheitlich schlagenden Hochschulkorporationen ausgerichtet" (damals unter der Bezeichnung "Wiener Korporations-Ball"), und seit 2013 organi­siert ihn die FPÖ, Landes­gruppe Wien.3)
3) (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Wiener_Akademikerball) 

Dort also hielt Prof. Hauer im Februar 2017 die Festrede.

Das sagt für sich genommen zwar auch schon manches aus, wäre aber noch nicht unbedingt als Alarmsignal in Hinblick auf eine Ernennung zum Verfassungsrichter zu qualifizieren. Dies ändert sich jedoch, wenn man erfährt, was Hauer dort im Rahmen seiner Rede so zum Besten gab. Es ist mir leider nur in Auszügen bekannt; aber die genügen, um sich ein schauriges Bild über Redner und Veranstaltung machen zu können.

Die folgenden Zitate aus Hauers Rede stammen von der Webseite unzensuriert.at 4), die zwar eine FPÖ-nahe Plattform sein soll, aber gerade deshalb im gegebenen Zusammenhang eine hervorragende Quelle darstellt. Denn damit ist auszuschließen, dass Zitate aus dem Zusammenhang gerissen oder gar böswillig verfälscht wurden, um dem Redner zu schaden. Im Gegenteil: Man wollte ihn mit der Wiedergabe ohne Zweifel ins rechte Licht rücken. Und das ist – je nach Sichtweise – im einen oder anderen Wortsinn auch durchaus gelungen.
[aufgerufen am 29. Dezember 2017])

Den Zitaten aus der Festrede Hauers werde ich jeweils meine eigenen Überlegungen gegenüberstellen.


3. Medienschelte – oder: Wer sind die Krawallmacher? 

Gegen den Ball wird jährlich auch demonstriert (was in manchen Jahren mit gröberen Ausschreitungen seitens von Demonstranten verbunden war). Hauer berichtet, dass er in einer "nicht unwesentlich durch Staatsinserate finanzierten" Zeitung von einem "Krawall-Ball" gelesen habe und stellt dazu fest:

"Das ist ein besonders schönes Beispiel für Fake News oder für 'alternative Fakten'. Denn nur weil es draußen ein paar Störenfriede gibt, die gegen unsere Veranstaltung krawallisieren, werden wir nicht zum Krawall-Ball. Sonst müsste man mit gleicher Logik auch von Krawall-Zeitungen sprechen und die Herausgeber der Zeitungen… Aber lassen wir das!"

Dem sprachlichen Argument Hauers kann man dabei durchaus Recht geben – zumindest, wenn man den Begriff "Krawall" eng fasst.

(Nebenbei: Wollte man den Wortsinn von "Krawall" ausdehnen – wie Hauer das selbst mit dem Ausdruck "Krawall-Zeitungen" ins Spiel bringt –, sähe die Sache schon ganz anders aus: Dann müsste man sich fragen, ob nicht doch die Ballteilnehmer und vor allem auch die Ballorgani­satoren die größeren – und vor allem weitaus gefährlicheren – Krawall­macher im Lande darstellen als die demonstrierenden Veranstaltungsgegner. Aber um mit Hauer zu sprechen: Lassen wir das …)

Wesentlicher als diese semantische Frage ist der Unmut, den Hauer in obigem Zitat gegenüber solchen Medien äußert, die über den Ball in einer seines Erachtens unangemesse­nen Wortwahl berichten. Nun bin ich wahrlich der Letzte, der den Medien unkritisch gegenübersteht (in diesem Blog gibt es genügend Nachweise dafür). Aber dennoch – oder besser gesagt: gerade deshalb – ist die Differenzierung wichtig: Hauers (oberflächliche) Kritik (oder eher: Polemik) gegenüber (manchen) Medien kommt aus der rechten Ecke und schwimmt mit dem einschlägigen (rechten) Zeitgeist:

Es war vor allem die kurze Phase einer "flüchtlingsfreundlichen" Berichterstattung in den Massenmedien (ungefähr während des zweiten Halbjahres 2015), die in Ländern wie Österreich und Deutschland die Rechten (mit anderen Worten: weite Teile der Bevölkerung) rabiat machte und dazu führte, dass aus bis dahin völlig anspruchslosen und unkritischen Medienkonsumenten plötzlich wütende Gegner eben dieser Medien wurden. Es war jene Kritik, die sich vor allem im Ausdruck "Lügenpresse" manifestierte. Wenn man sich als Festredner einer rechten Veranstaltung durch einen als unpassend empfundenen medialen Ausdruck (wie "Krawall-Ball") auf den Schlips getreten fühlt und darin "fake news" zu erkennen glaubt, dann gehört das in eben diese Kategorie von Kritik, die nur (und immer nur dann) artikuliert wird, wenn eigene (ideologisch rechts angesie­delte) Befindlich­keiten durch die Medienberichterstattung gestört wurden. Mit grundlegender Medienkritik hat das nichts zu tun.

Braucht es auch nicht, könnte man einwenden. Stimmt. Aber die Abgrenzung erscheint mir dennoch wichtig. Denn die Gefahr ist groß, dass die (ohnedies stark rechtslastigen) Boulevard-Medien derartige Unmuts­äußerungen ihrer (durchwegs rechten) Konsu­ment/in­nen zum Anlass nehmen, um (wieder) in jener Art und Weise zu berichten und zu schreiben, die ihrer Kundschaft gefällig ist. Im Zusammenhang mit dem Ausländer­thema ist diese Entwicklung ja auch tatsächlich längst schon wieder vollzogen. Bereits 1997 hat Elfriede Jelinek in einem Fernsehinterview (solche gab sie damals gelegentlich noch) weite Teile der österreichischen Presselandschaft als "Agentur des gesunden Volks­empfindens" bezeich­net.5) Dieses Verdikt hat auch 20 Jahre später leider nichts von seiner Gültigkeit verloren.
5) (http://tvthek.orf.at/profile/Archiv/7648449/Jelinek-ueber-ihre-Rueckkehr-nach-Wien/7877632) 

"Medienkritik" von rechts kann also leicht auf eine (noch größere) Gefügigkeit der Medien gegenüber Rechts hinauslaufen – und damit gerade auf das Gegenteil von kritischer, unabhängiger und vor allem seriöser Berichterstattung.

Darin liegt ein wesentlicher Grund für meine Vorbehalte gegen jene Art von Medien­schelte, wie sie etwa Hauer betreibt. (Dass die Verwendung des Ausdrucks "Krawall-Ball" durch eine Zeitung im gegebenen Zusammenhang fragwürdig ist, habe ich schon zuvor konzediert; aber ich halte das eben nicht für die zentrale Frage.)

Weiters spricht Hauer laut obigem Zitat in Bezug auf die Demonstranten von "ein paar Störenfrieden", die gegen den Ball "krawallisieren".  

Darauf wollte ich ursprünglich nur entgegnen, dass es bei den Demonstrationen gegen den Akademikerball schon mehrere Jahre lang gar keine nennenswerten Krawalle oder sonstigen Zwischenfälle mehr gegeben habe. Beispielsweise findet sich eine ausführliche Chronik der Proteste auf der zuvor verlinkten Wikipedia-Seite über den Akademikerball. Demnach hatten die letzten gröberen Ausschreitungen seitens von Demonstranten 2014 stattgefunden. 2015 und 2016 seien die Proteste "weitgehend friedlich" und 2017 überhaupt "friedlich" verlaufen. Ähnliches steht in einem Bericht des "Standard" vom 4. Februar 2017, in dem es heißt: "2015 und 2016 blieb es hingegen bei weitgehend friedlichen Protesten. Und auch heuer [Anm.: 2017, also jenes Jahr, in dem Hauer die Festrede hielt] gab es bis zum Ende der Demo auf dem Stephansplatz keine Randale." 6)
6) (siehe http://derstandard.at/2000052088384)

Wo waren also die krawallisierenden Störenfriede, von denen Hauer erzählt? Fündig wurde ich auf der Homepage der FPÖ. Die publiziert einen Artikel der partei-eigenen "Neuen Freien Zeitung" (NFZ) vom 9. Februar 2017 (wo übrigens ebenfalls Zitate des Fest­redners Hauer aner­ken­nungs­voll wiedergegeben werden). In dem Artikel heißt es hinsichtlich der De­mons­tra­tion von 2017: 

"[…] – genauso wie praktisch alle [Anm.: alle Mainstream-Medien] von 'friedlichen Demonstranten' bei den linken Kundgebungen gegen den Akademikerball kündeten. Zwar litt die Gegendemo unter geringer Beteili­gung, 'friedlich' war sie deshalb noch lange nicht. Es gab tätliche Angriffe auf Ballbesucher, Blockadeversuche, eine Rauch­bombe in der Straßen­bahn, Sachbeschädigungen an Gebäuden und vieles mehr. […] Von all dem las man in den Medien wenig bis gar nichts." 7)
7) (Quelle: https://www.fpoe.at/artikel/stehen-medien-fuer-ordnung-oder-fuer-anarchie/ )

Als jemand, der selbst immer wieder massive Kritik an manipulativer Berichterstattung der Medien übt, habe ich diesen Einwand zur Kenntnis zu nehmen. Ich war selbst bei der Demonstration nicht dabei und muss mich deshalb auf die einschlägigen Berichte stützen. Gehen wir also im Zweifel davon aus, dass sie 2017 nicht so friedlich verlaufen ist, wie es zum Beispiel in der Wikipedia oder im Standard-Artikel steht, sondern dass es die FPÖ ist, die faktengetreu berichtet (und dass Hauer im Zeitpunkt der Abhaltung seiner Rede auch bereits wusste, was sich mehr oder weniger gleichzeitig draußen vor der Hofburg abspielte). Auch wenn man das alles konzediert, wird seine Polemik gegen die Demonstrations­teil­nehmer nicht überzeu­gender, wie sich gleich zeigen wird.


4. Exkurs: Hauer und das Versammlungsrecht 

Mit den Ausschreitungen mancher Demonstranten im Jahr 2014 hatte sich Hauer übrigens schon damals in einem Gastkommentar auf der Webseite des weit rechts stehenden Journalisten Dr. Andreas Unterberger beschäftigt: Am 28. Jänner 2014 wurde der Kommentar dort unter dem Titel "Die Liste der Delikte der Demonstranten – und die Konsequenzen" veröffentlicht.8)
8) (http://www.andreas-unterberger.at/2014/01/die-liste-der-delikte-der-demonstranten-ij-und-die-konsequenzen/) 

Hauer setzt sich in dem Text mit den juristischen Aspekten der damaligen Vorfälle auseinander. Was unangenehm auffällt, ist die Polemik, in die seine rechtlichen Ausführungen gekleidet sind. Etwa wenn er meint:

"Zweifellos hat die Geltendmachung von Schadenersatzforderungen [Anm.: gegenüber den Veranstaltern einer Versammlung, bei der es zu gewalt­tätigen Ausschreitungen kommt] auch erzieherischen Zweck gegenüber allzu leichtfertigen Veranstaltern von Hass-Versamm­lungen."

Hier wird also suggeriert, dass die Veranstalter der Demonstration gegen den Akademi­kerball eine Hass-Versammlung beabsichtigt hätten. Nun sind die Veranstalter einer Versammlung zwar für deren geordneten Ablauf verantwortlich, und jene von 2014 sind dieser Aufgabe anscheinend nicht oder nicht ausreichend nachgekommen. Das legt Hauer in seinem Text näher dar und soll nicht bestritten werden. Aber das heißt noch lange nicht, dass es legitim ist, sie als "allzu leichtfertige Veranstalter von Hass-Ver­samm­lungen" abzuqualifizieren.

Mit dieser Formulierung wird auch deutlich, was Hauer mit dem "erzieherischen Zweck" der Geltendmachung allfälliger Schadenersatz­for­derun­gen gegenüber den Veran­stal­tern offenbar meint: Nicht die sorgfäl­ti­gere Wahrnehmung der einschlägigen Ver­pflich­tun­gen durch die Veranstalter scheint ihm ein Anliegen zu sein; der "erzieherische Zweck" dürfte für ihn vielmehr darin bestehen, Personen bzw. Institutionen künftig überhaupt davon abzuschrecken, sich zur Abhaltung einer Demonstration gegen den Akademikerball zu erdreisten. Explizit schreibt er das natürlich nicht. Aber die Formu­lierung "allzu leichtfertige Veranstalter" spricht eine klare Sprache.

Dass die Ausschreitungen bei der Demonstration (2014) für Hauer will­kom­mener Anlass sind, um gegen Versammlung und Veranstalter insgesamt Stimmung zu machen, wird auch aus dem Schlussteil seines Gast­kommentars bei Unterberger deutlich. Hauer schreibt:

"Für die Zukunft aber sollte die Lage ohnehin klar sein: Wenn es nach dem Gesetz geht, ist eine Versammlung nach dem Muster der diesjährigen ohnehin von den Polizeibehörden aus den gesammelten Erfahrungen heraus wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu untersagen (§ 6 Ver­samm­lungsG). Wenn!"

Er sehnte sich also geradezu danach, dass die Versammlung (somit die Demonstration gegen den Akademikerball) künftig untersagt wird. Nun, diese Freude scheinen ihm die Behörden nicht gemacht zu haben, denn die Versammlungen der Jahre 2015 bis 2017 haben offenkundig mit ent­spre­chender Genehmigung stattgefunden.

Fraglich ist übrigens auch, ob Hauers eben zitiertes Rechtsverständnis überhaupt mit der einschlägigen Rechtsprechung jenes Gerichtes in Einklang steht, dem er möglicher­weise bald angehören wird, nämlich des Verfassungsgerichts­hofes. Dieser hatte schon knapp ein Jahr vor Hauers Kommentar – im März 2013 – entschieden, dass eine 2011 erfolgte Unter­sagung einer Versammlung gegen den damaligen Ball des Wiener Korporations­rings zu Unrecht erfolgt war. In der Begründung heißt es dazu unter anderem:

"Würde […] allein der Umstand eines Risikos von Auseinandersetzungen bereits in jedem Fall erlauben, eine geplante Versammlung zu untersagen, liefe dies auf ein – mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen nicht zu ver­ein­barendes – vorbeugendes Ver­samm­lungsverbot hinaus." 9)
9) (siehe das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes B 1037/11 vom 14.3.2013
bzw. als PDF-Datei:
https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/Vfgh/JFT_20130314_11B01037_00/JFT_20130314_11B01037_00.pdf )

Gelinde gesagt scheint da ein Spannungsverhältnis zwischen der Rechts­auffassung des Verfassungsgerichtshofes und den Vorstellungen Hauers über die Zulässigkeit von Versammlungen zu bestehen – so viel lässt sich schon ohne nähere Analyse der Thematik feststellen.


5. Bürgerliche Ordnung versus Anarchie – oder: Der Akademikerball als Versammlung der Anständigen und Tüchtigen 

Zurück zu Hauers Festrede am Akademikerball 2017. Jetzt wird es heftig. Hauer erklärt gegenüber den Ballgästen:

"Wir sind ein Teil der Bevölkerungsgruppe, die den Staat und die Gesellschaft trägt, mit der man einen Wohlfahrtsstaat aufbauen und finanzieren kann – mit Leuten, die gehässig Schaufenster einschlagen und Polizeifahrzeuge demolieren, geht das nicht. Das sollte jedem einleuchten, und wer das erkennt, muss sich entscheiden, wo er stehen will: Auf der Seite der bürgerlichen Ordnung oder auf der Seite der Anarchie."

Was mich betrifft: Wenn ich zwischen diesen zwei Polen zu wählen hätte, dann wäre mein Platz eindeutig auf der Seite der (jedenfalls von Hauer so apostrophierten) Anarchie. Selbst wenn man nicht mit allem einverstanden ist, was die "Anarchie" draußen so treibt, und selbst wenn man konzediert, dass zu ihr sicherlich auch diverse Hitz-, Wirr- und Dummköpfe zählen – so finde ich sie alles in allem immer noch um Welten ansprechender, sympathi­scher und vor allem gesamtgesellschaftlich ungefährlicher als die Ansamm­lung der rechten, reaktionären "bürgerlichen Ordnung" in Gestalt der Ball­gäste drinnen*.

*) [Nebenbei sei zur Klarstellung erwähnt, dass es auch eine andere – weniger autori­täre, eine tolerantere, humanere und damit anständigere – Ausprägung der Bürgerlich­keit zu geben scheint als jene, die sich etwa am Akademikerball bzw. in der Person des dortigen Festredners manifestiert. Ich ver­wei­se auf meinen Blogeintrag über Karl Korinek (das frühere lang­jährige Mitglied und den späteren Präsidenten des Verfassungs­gerichts­hofes).10) Er war (gleichfalls) ein Bürgerlicher durch und durch – aber einer mit zahlreichen Facetten in Wesen und Geisteshaltung (gerade auch in juristischen Fragen), denen man sogar aus linker Per­spek­tive Sympathie und Anerkennung entgegenbringen konnte.]
10) (https://enalexiko.blogspot.co.at/2017/03/zum-tod-von-karl-korinek.html)

Hauer meint in seiner Festrede weiters: 

"Unser Ball ist ja nur ein Symbol, gegen das angekämpft wird. Gemeint ist aber in Wahr­heit Österreich, der Staat, die freiheitliche Gesellschafts­ordnung und das Privat­eigentum insgesamt. Wenn wir also auf diesem Ball beharren, so tun wir das nicht nur für uns, sondern für die gesamte Gesellschaft."

Dass er die Abhaltung des Balls zu einem Dienst an der gesamten Gesell­schaft (!) aufbläst, ist gelinde gesagt skurril. Auf einen solchen Unsinn gehe ich gar nicht näher ein.

Interessant ist jedoch, welche Institutionen bzw. Werte Hauer durch eine Demonstration gegen die Ballveranstaltung bedroht sieht: Österreich, den Staat, die freiheitliche Gesellschaftsordnung und das Privateigentum "insgesamt". Es sei dahingestellt, dass die Existenz eines solchen Zusammenhangs zwischen der Demonstration und den mit ihr verfolgten Absichten nicht verifiziert ist (und wohl auch nicht verifiziert werden kann, denn dazu müsste man mindestens die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter den Demonstrationsteilnehmer/innen über ihre Motive und Ziele zur Verfügung haben). Aber nehmen wir mal die Hauer'sche Demagogie für bare Münze und beginnen wir die Betrachtung beim letzten der von ihm genannten Elemente: dem Privateigentum als solchem.

Dass das Privateigentum an Produktionsmitteln (um diesen Bereich von Privateigentum wird es wohl allfälligen "Kämpfern" gehen) von Übel ist, das bestätigt der Kapitalismus immer wieder aufs Neue. Sich dagegen zu positionieren (von einem richtigen "Kampf" kann in unserer Gesellschaft ja ohnedies nicht die Rede sein), ist also keineswegs verwerflich, ja (aus meiner Sicht) sogar etwas Positives. Näher ist das an dieser Stelle nicht auszuführen, weil es zu weit vom eigentlichen Thema des Blogeintrags wegführen würde.

Um die "freiheitliche Gesellschaftsordnung" fürchtet Hauer ebenfalls. Das ist natürlich erst recht ein weites Feld, über das ebenfalls so manches zu sagen wäre (und von mir in diesem Blog auch schon mehrfach gesagt wurde11)). Daher an dieser Stelle nur so viel dazu: Es sind halt fast immer die Reichen und Mächtigen bzw. deren willfährige Handlanger (in Politik, Medien, Wissenschaft usw.), die besonders gern von der ver­meintlichen Bedrohung der Freiheit reden – und damit nichts Anderes bezwecken als die Zementierung und Ausweitung eben dieses Reichtums und dieser Macht.
11) (siehe dazu etwa folgenden Blogeintrag: https://enalexiko.blogspot.co.at/2014/06/freiheit-fur-wen-und-wovon-teil-2.html)

Viele Menschen durchschauen das nicht (und damit auch nicht ihr eigenes Sklaven- bzw. Marionettendasein) – dafür sorgt schon die allseitige Manipulation und Indoktri­nierung in unserer Gesellschaft. Nur so bleibt dieses famose System ja am Laufen. Doch Personen wie Hauer gehören mit Sicherheit nicht zu diesen Ahnungslosen. Jemand wie er weiß, dass er heuchelt, wenn er von einer "freiheitlichen [im Sinne von: von Freiheit geprägten] Gesellschaftsordnung" redet und dann auch noch suggeriert, dass etwaige Gegner der bestehenden Gesellschaftsordnung (in Form von Balldemonstranten und/oder meinetwegen auch Randalierern) eine Bedro­hung für die Freiheit wären.

Und was die zwei anderen von Hauer behaupteten Kampfziele der bösen Anarchisten betrifft – nämlich Österreich und den Staat –, lässt sich an das eben Gesagte anknüpfen: Der Kapitalismus – und dabei insbesondere seine neoliberale Ausprägung – hat es mit sich gebracht, dass die Stellung des Staates immer schwächer wurde und ein Großteil der realen Macht schon längst nicht mehr bei ihm (und natürlich schon gar nicht beim – wie auch immer definierten – Volk) liegt, sondern bei der Wirtschaft. Nebenbei gesagt: keineswegs nur bei multinationalen Konzernen, sondern auch bei mittelständischen oder kleinen Unternehmen. Gemeinden, denen mit der Absiedlung von Betrieben gedroht wird, wenn sie sich "wirt­schafts­feindlich" verhalten, sind dafür ebenso ein Beispiel wie der im Interesse von Gastronomen und Trafikanten praktizierte Verzicht auf die Normierung konsequenter Rauchverbote. (Dieser Verzicht ist übrigens etwas, das die FPÖ – und damit gerade jene politische Ecke, in der sich Hauer engagiert – in absurder, missbräuchlicher und unverschämter Weise als Maßnahme im Dienst einer "freiheitlichen Gesellschaftsordnung" ver­standen wissen will.)

All das wird mittlerweile längst auch schon von Leuten konstatiert, die man keineswegs als "links" (und erst recht nicht als Anhänger der "Anarchie") einstufen kann. Die Ablehnung eines Staates, der in weiten Bereichen zu einem Vasallen und Handlanger privater wirtschaftlicher Interessen degra­diert ist und der damit spiegelbildlich immer weniger imstande (und je nach politischer Ausrichtung der gerade Regierenden auch immer weniger gewillt) ist, für den Schutz der Schwächeren und für die Beseitigung gesell­schaft­licher und ökonomischer Benachteiligung und Ungerechtigkeit zu sorgen – die Ablehnung eines solchen Staates ist nicht zwangsläufig etwas Ver­werfliches. Und dass selbstverständlich auch Österreich zu diesen Staaten zählt (mit einer dezidiert rechten Regierung wohl noch mehr), lässt sich nicht ernsthaft leugnen.

Die Kausalkette erscheint mir daher logisch: Wer gegen das herrschende (gesell­schaft­liche und wirtschaftliche) System "ankämpfen" möchte, kommt wohl gar nicht darum herum, gegen den Staat jedenfalls in seiner gegen­wärti­gen Ausprägung "anzukämpfen". Dies allerdings sicher nicht nach den populären kapitalistischen Mottos "Weniger Staat – mehr Privat" oder "Runter mit den Abgaben" (die Befürworter solcher Parolen sind die wahren Staatsfeinde!), sondern als Kampf gegen jenen politischen und juristi­schen Ordnungs­rahmen (bzw. eher "Unord­nungs­rahmen"), der das herr­schende System möglich macht und/oder der (umge­kehrt) von diesem System dem Staat aufgezwungen wurde. (Vermut­lich ein Wechselwir­kungs­prozess, in welchem sich Ursache und Wirkung kaum noch entwirren lassen.)

Der einzige Punkt, in dem ich Hauer Recht gebe: Der Akademikerball ist wohl tatsäch­lich nur "ein Symbol, gegen das angekämpft wird". Unter diesem Gesichtspunkt kann man den Protesten durchaus mit Vorbehalten begegnen:

• Zunächst einmal sollten sich diese Proteste nicht gegen die Abhaltung des Balls an sich richten, sondern gegen die Ballbesucher (bzw. gegen jene Ideenwelt, die diese verkörpern). Der Unterschied ist durchaus wesentlich: Die Abhaltung einer zwar durch und durch lächerlichen, aber für sich genommen harmlosen Ballveranstaltung verhin­dern zu wollen (womöglich gar durch Attacken gegen Ballbesucher oder ähnliche Aktionen) – das ist nur Wasser auf die Mühlen von Hauer & Co. Und man müsste ihm dann in seiner Kritik an der Demonstration bzw. ihren Teilnehmer/innen sogar zustim­men. Denn ebenso, wie die (im weitesten Sinne) "linke" Seite für sich in Anspruch nimmt, sich zu versammeln und ihre Ideen zu artikulieren, muss das auch für die Rechten gelten. Solange also nicht nachgewiesen wird, dass der Akademikerball beispielsweise ein Ort der Verkündung neo­nazistischer oder verhetzender Propaganda wäre (und die Ballteilnehmer und -organisatoren werden sich vor dergleichen sicherlich hüten [schon allein deshalb, weil sie wissen, dass sie diesbezüglich unter Beobachtung stehen]) – solange ist die Abhaltung dieses Balls zu akzeptieren. – Das Problem sind die teilnehmenden Personen (bzw. ihre Ideologie), aber nicht ihre eitle Zusammenkunft. Es ist zwar gut, wenn die Proteste stattfinden – vereinfachend durchaus auch als solche "gegen den Akademikerball" dekla­riert; Absicht darf allerdings nicht die Verhin­de­rung der Veranstaltung sein, sondern die Artikulation von Ablehnung und massivem Widerspruch gegen jene Personen bzw. jene Denkweisen und Ideologien, für die der Akademikerball tatsächlich als Symbol steht.

• Aus linker Sicht könnte man den Demonstrant/innen weiters den Vorwurf machen, dass das Ankämpfen gegen ein Symbol zwar ehrenwert, aber zu wenig ist. Sollten Hauers Mutmaßungen über die "wahren" Motive und Absichten der Demonstranten zutreffen (sie also gleichsam "klassen­kämpferischer" oder meinetwegen "anarchisti­scher" Natur sein), so wäre es wünschenswert, dass die Auseinandersetzung weitaus breiter und intensiver geführt wird und sich nicht auf eine einzige Demonstration im Jahr konzen­triert. Und nebenbei gesagt, wären dann massive Proteste gegen den Opernball (wiederum als Symbol) noch weitaus wichtiger als solche gegen den Akademikerball.

Andererseits wissen wir aber (wie schon oben erwähnt) gar nicht genau, was die Teilnehmer/innen überhaupt zur Demonstration gegen den Akade­mi­ker­ball treibt. Vielleicht sind das (zumindest beim Großteil von ihnen) gar nicht so sehr die von Hauer vermuteten umstürzlerischen Bestrebungen, die in seiner Sicht auf die Ausmerzung von Staat, Freiheit und Privateigentum abzielen? Sondern vielleicht beruhen die Demonstra­tio­nen – viel simpler – hauptsächlich auf einem Bedürfnis, den Protest gegen rechte bzw. extrem rechte Gesinnung und Politik (einschließlich deren sattsam bekannter Aus­prägungen wie Antisemitismus und/oder Islamo­phobie, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz gegenüber alternativen Lebensvor­stel­lungen usw.) zum Ausdruck zu bringen? Auch dann wäre der Akademi­ker­ball zugegebenermaßen nur ein Symbol – aber zweifellos ein passendes.

Idealerweise sollte ohnedies gegen beide Veranstaltungen demonstriert werden: gegen den Opernball primär aus "klassenkämpferischen", anti­kapitalistischen Motiven; und gegen den Akademikerball primär als Zeichen des Protests gegen rechte Gesinnung – sofern man dabei nicht den Blick dafür verliert, dass sich rechte Gesinnung hierzulande keineswegs auf die FPÖ oder irgendwelche studentischen Korporationen beschränkt, sondern weite Teile der österreichischen Gesellschaft durchdringt. Dieser Umstand wird leider von vielen "einäugigen" FPÖ-Gegnern ignoriert.


6. Die Randalierer (und die "Leistungsträger") 

Was jene Demonstranten betrifft, die laut Hauer "gehässig Schaufenster einschlagen und Polizeifahrzeuge demolieren", könnte man ihm sehr einfach Folgendes entgegnen: Zum Zeitpunkt seiner Rede hat es sie seit drei Jahren offensichtlich nicht mehr gege­ben. Nicht einmal die FPÖ erwähnte dergleichen im oben zitierten Artikel – und die hätte solche Vorfälle sicher genüsslich ausgebreitet. Hauer bezieht sich damit also auf etwas, das zum Zeitpunkt der Abhaltung seiner Rede allem Anschein nach jedenfalls drei Jahre zurücklag. (Ganz abgesehen davon, wird man davon ausgehen dürfen, dass auch in den "Krawalljahren" bei Weitem nicht alle Demons­tra­tionsteilnehmer/innen zu diesem radikalen Personenkreis gehör­ten.)

Aber ich will mich gar nicht um eine Stellungnahme betreffend diese Gruppe von Randalierern drücken:

Das Demolieren von Polizeifahrzeugen ist (abgesehen von der straf­recht­lichen Dimension) einfach dumm und deplatziert – so, wie ich insgesamt das Hochstilisieren der Polizei zum Feind unendlich dumm und deplatziert finde. Der Kampf gegen die Polizei richtet sich nämlich gegen die Falschen, und zwar in doppelter Hinsicht:

• Erstens, weil Österreich zwar eine ganze Menge anzulasten und vorzu­wer­fen ist, aber es ist jedenfalls kein Polizeistaat. Die Polizei ist lediglich ausführendes Organ (eben "Exekutive"), und solange sie sich bei ihren Vollzugshandlungen keine Missbräuche und Übergriffe zuschulden kommen lässt, ist es falsch und sinnlos, auf sie oder ihre Symbole einzuprügeln (sei es im wörtlichen oder im bildlichen Sinne).

• Mit dem eben Gesagten steht das zweite Argument in Zusammenhang: Jeder kann in Situationen kommen, in denen er froh ist, sich an die Polizei wenden zu können (Über­fall, Wohnungseinbruch usw.). Das gilt ohne Zweifel auch für jene, die aus einer Protest­haltung heraus Polizeiautos demolieren oder sonstwie die Polizei als Feind behandeln. Die Polizei ist oft nützlich, manchmal sogar aus einer Gefahrensituation rettend. So sehr mir die "bürgerliche Ordnung" im Sinne von Hauer & Co. auch zuwider ist – die Polizei (sei sie auch Hüter der "Ordnung") ist im Ernstfall für alle da. Dass sie (ideologisch möglicherweise auch noch so weit rechts stehende) Ball­besucher vor etwaigen tätlichen Angriffen von Demonstranten beschützt, ist ihre ebenso selbstver­ständliche Aufgabe wie ihr Einschreiten zugunsten von linken Systemgegnern, wenn diese von einem Trupp Neonazis attackiert werden sollten.

Es lässt sich nicht vermeiden, dass es zur Frage der demolierten Polizeiautos aus­nahms­weise also fast so etwas wie eine Übereinstimmung zwischen Hauer und mir gibt.

Aber keine Sorge – beim Einschlagen von Schaufenstern divergieren unsere ideologischen Positionen ohnedies schon wieder. ;-) Zwar kann ich dem Zertrümmern von Auslagenscheiben auch nicht viel abgewinnen – aber das hat bei mir eher pragmatische denn moralische oder ideologische Gründe: Wer Auslagenscheiben zertrümmert, muss mit straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen für eine Aktion rechnen, die absolut nichts bringt. Das tun zwar andere symbolische Akte (wie der friedliche Protest gegen einen Ball) auch nicht (oder nur beschränkt) – aber für die friedliche Teilnahme an einer genehmigten Versammlung hat man wenigstens mit keinen rechtlichen Konsequenzen zu rechnen. (Zumindest noch nicht; wer weiß, was die Zukunft diesbezüglich bringt …)

Was den Unrechtsgehalt der Beschädigung von Auslagen betrifft, ist dieser meines Erachtens beträchtlich geringer als beim Demolieren von Polizeiautos – insbesondere, weil die Polizei zum Schutz der Bevölkerung da ist (siehe oben), sie also letztlich im Interesse des Gemeinwohls agiert.

Ansonsten beschränke ich mich zum Thema "Auslagenzertrümmern" auf eine zugegebenermaßen etwas zugespitzte, aber die Substanz des Themas gut veranschaulichende Fragestellung: Wer handelt verwerflicher? Zum Beispiel der Eigentümer einer Supermarktkette, der durch das Schuften seines Personals und die den Kund/innen abverlangten Produktpreise zum Milliardär geworden ist – oder ein Randalierer, der aus Protest gegen diese Unrechtsverhältnisse die Auslage einer Filiale einschlägt?

Wie Hauers Antwort ausfallen würde, lässt sich denken. Dass meine eigene Antwort genau entgegensetzt lautet, wohl ebenso. Womit die wünschens­werte ideologische Distanz zwischen uns beiden wieder hergestellt wäre. ;-)

Ja, ein solcher Supermarkt-Milliardär (oder Bankdirektor oder Fabrikserbe usw.) – in der Einschätzung Hauers sind sie (unabhängig von ihrem partei­poli­tischen Standort) sicherlich auch Mitglied jener

"Bevölkerungsgruppe, die den Staat und die Gesellschaft trägt, mit der man einen Wohlfahrtsstaat aufbauen und finanzieren kann."

So, wie Hauer ja selbstbewusst seine eigene Person und die Ballgäste dieser Gruppe zuordnet ("Wir sind ein Teil der Bevölkerungsgruppe …").

Gerade, dass er nicht den unsäglichen und unverschämten Ausdruck "Leistungsträger" verwendet hat (jedenfalls nicht in den mir vorliegenden Auszügen seiner Rede). Aber dafür springt die FPÖ in der (oben verlinkten) Lobhudelei auf den Akademikerball und deren Festredner klarstellend ein, indem der Artikel auf ihrer Homepage mit den Worten beginnt: 

"Wenn aus Leistungsträgern der Gesellschaft 'Rechtsextreme' und aus randalie­ren­den Staatsfeinden 'friedliche Demonstranten' werden, dann ist Wiener Akademikerball. Auch heuer regierten 'Fake News' und 'alternative Fakten' in den Redaktionen. Am Ball selbst wurden die Praktiken der Journalisten scharf kritisiert."
[Anm.: Fettdruck von mir]

Am Akademikerball befanden sich also laut FPÖ "Leistungsträger der Gesell­schaft". Man sieht, wie sehr sich die diversen politischen Gruppie­rungen diesbezüglich in der Wortwahl (aber nicht nur darin) einig sind: Ob Liberale (bzw. Pseudo-Liberale) à la "Neos", ob Konservativ-Bürgerliche à la ÖVP, oder eben deklariert Rechte (seien es "extreme" oder nicht-extreme): In der Anmaßung und Unverschämtheit, die in der Verwendung des Ausdrucks "Leistungsträger" liegt, herrscht harmonischer Gleichklang. (Und nur zur Klarstellung, um nicht in den Verdacht zu geraten, mit der SPÖ zu sympathisieren: Die Roten sind halt manchmal vorsichtig in ihrer Wortwahl und vermeiden einen solchen Ausdruck, um den heuchlerischen Anschein einer vermeintlich "linken" Partei zu wahren. Im Prinzip sind sie in denselben Topf zu werfen wie die zuvor genannten Gruppierungen.)

Was uns Hauer bewusst verschweigt: dass er und seine Gesinnungs­freunde nicht aus Uneigen­nützigkeit oder aus Überzeugung einen "Wohl­fahrtsstaat" finanzieren bzw. gar aufbauen (wie er das unredlicherweise mit seinem Lob und Selbstlob suggeriert). Was Hauer & Co. tun (so, wie Milliarden andere Menschen in der Welt ebenso): sie schauen auf ihr eigenes Wohlergehen. Jenes der Allgemeinheit (und damit umso mehr der Wohlfahrtsstaat) ist gerade auch den Rechten herzlich egal. Ausdruck dessen ist das Wettern gegen Mindest­sicherungs­bezieher oder (notorisch) gegen Asylwerber eben­so wie die strikte Ablehnung von Erbschafts- und Vermögenssteuern durch die FPÖ noch vor der letzten Nationalrats­wahl (also ohne koalitionäre Zwänge), das ständige Jammern über die angeblich zu hohe Steuerlast und Vieles mehr. Was die vermeintlichen Wohltäter für die Allgemein­heit tun, ist das, was gemacht werden muss, weil es sich (insbesondere in Form von Abgabenzahlungen) nicht vermeiden lässt. Und auch diese Pflichten werden immer weiter zu reduzieren versucht.

Woran Herr Prof. Hauer in diesem Zusammenhang aber vor allem zu erinnern ist, sind die Formen, in denen man zu Geld kommt. Mit Leistung hat das oft wenig oder überhaupt nichts zu tun:

• Viele verdienen ihr Geld zwar durch eigene Arbeit. Doch die kann je nach Beruf bzw. Tätig­keits­feld umfangreicher, mäßig oder gering ausfallen – und zwar ohne, dass damit zwangsläufig die Höhe der Entlohnung korres­pon­diert. (Gerade auch im öffentlichen Dienst soll es dafür Beispiele geben.)

• So manche verdienen einen Großteil ihres Geldes weniger durch eigene Arbeit, sondern hauptsächlich dadurch, dass sie Anderen etwas anschaffen und diese für sich arbeiten lassen. (Pardon – politisch korrekt muss das in unserer Gesellschaft natürlich heißen: "Sie schaffen Arbeitsplätze.") 

• Und einige haben Geld, ohne auch nur irgendetwas dafür zu tun oder jemals getan zu haben (Erben von Vermögen, Spekulanten usw.).

Es ist anzunehmen, dass am Akademikerball Angehörige aller drei Kategorien teilneh­men. Darunter aber wohl kaum solche Personen, deren Einkommen oder Vermögen auf besonders harter, unangenehmer oder gefährlicher, aber gleichzeitig schlecht bezahlter Arbeit beruht. (Schon der Name "Akademikerball" lässt dies äußerst unwahrscheinlich erscheinen.) Plakativ gesagt: Kanalräumer, Leichenwäscher oder Straßenkehrer werden den Ball kaum besuchen. Die überwiegende Zahl der Ballgäste sind viel­mehr sicherlich Menschen, die auf mehr oder weniger bequeme Weise bzw. überhaupt ohne irgendeine Arbeitsleistung viel oder relativ viel Geld verdienen bzw. besitzen (vulgo "Leistungsträger"). Dass solche Menschen in einem Ausmaß zu Aufbau und Finanzierung eines Wohlfahrtsstaates beitragen, das ihrer privilegierten Stellung auch nur einigermaßen ange­mes­sen wäre, ist strikt zu verneinen. (Statistiken über Einkom­mens­verhältnisse und Vermögenskonzentrationen sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache.)


7. Als Draufgabe noch ein Zitat 

Es passt einfach zu gut her, als dass man es ignorieren sollte.

(Das Zitat steht nicht in den oben verlinkten Artikeln auf unzensuriert.at oder fpoe.at, sondern in einem – lesenswerten – Bericht mit dem Titel "Mit Schmiss am Akademiker­ball", den der junge Journalist Christoph Schatt­leitner über seinen offenkundig investigativen Besuch der Veranstal­tung im Februar 2017 verfasst hat.12)
12) (https://www.vice.com/de_ch/article/qkzwnx/mit-schmiss-am-akademikerball ) 

Hauer soll demnach in seiner Festrede auch gesagt haben:

"Dem Kleidungsstil nach zu urteilen, müssen sich die Demonstranten nicht mit den höheren Progressionsstufen des Einkommenssteuerrechts ausein­an­dersetzen."

Schattleitner kommentiert diesen Ausspruch zutreffend so:

"Oder, österreichischer ausgedrückt: Wer keinen Anzug trägt, kann kaum was Ordentliches arbeiten, weil wir hier immer noch in Österreich (oder den 1950ern) leben." 

In diesem Sinne fügt sich Hauers gehässiges Bonmot in das Gesamtbild, das er von sich, seinen Gesinnungsfreunden und der Veranstaltung abgibt. 


8. Bilanz 

Dass ich mich mit der Person bzw. den Ansichten Hauers so ausführlich beschäftigt habe, hat zwei Gründe:

Erstens war seine unmissverständliche Positionierung ein willlkommener Anlass, meine eigenen Gegenstandpunkte und damit meine Ablehnung dieser Art von "bürgerlicher Ordnung" in ebenso expliziter Weise darzu­legen. ;-)

Zweitens (und das ist der entscheidende Punkt, mit dem sich der Kreis zum Beginn meines Eintrags schließt): Der Mann soll möglicherweise Richter am Verfassungs­gerichtshof werden. Mein Artikel sollte illustrieren, wieso ich das für schlecht und zutiefst kritikwürdig halte.

Und ich schreibe bewusst (lediglich) "schlecht" und "zutiefst kritikwürdig", weil mir vollkommen klar ist, dass man darüber hinaus nichts dagegen sagen oder tun kann (und wohl auch gar nicht tun soll):

Die Österreicher/innen haben bei der letzten Nationalratswahl im Oktober 2017 die Rechten – in Form von ÖVP und FPÖ – mit einer Mehrheit von ca. 57% an die Macht gewählt. Die Rechten haben diese Macht also demokratisch legitimiert inne. Und diese Regierung repräsentiert – insbe­sondere beim Ausländerthema – den "Volkswillen" wie wahrschein­lich noch keine andere zuvor.

Dass sich diese Situation auch auf die politisch-ideologische Struktur des Verfassungs­gerichts­hofes auswirken wird, wenn dort zufällig gerade die Nachbesetzung von Richterposten ansteht (wie das eben derzeit für drei dieser Ämter der Fall ist), habe ich oben bereits dargelegt: Wenn politische Gremien (nämlich Parlament und Regierung) laut Verfassung die betreffen­den Richter/innen auswählen dürfen (bzw. auszuwählen haben), handelt es sich dabei unvermeidlich um Entscheidungen, in denen politische bzw. ideologische Kriterien eine wesentliche Rolle spielen (auch wenn manche vielleicht das Gegenteil behaupten oder es sich erhoffen).

In formaler Hinsicht wird ebenfalls nichts dagegen einzuwenden sein, dass jemand wie Hauer möglicherweise Verfassungsrichter wird. Die einschlä­gi­gen Erfordernisse sind so allgemein gehalten, dass sie viele Juristen und Juristinnen erfüllen würden: neben einem abgeschlossenen Jus-Studium ist es eine zehnjährige juristische Berufserfah­rung (etwa als Rechtsanwalt). Für einen Teil der (vierzehn) Mitglieder des Gerichtshofs gilt überdies, dass sie aus dem Kreis der Richter oder Verwaltungsbeamten oder der Rechts­professoren an einer Universität stammen müssen (siehe Artikel 147 der österreichischen Bundesverfassung).

Schlussfolgerung: Die geringen Formalerfordernisse sind erfüllt, die politi­sche "Vernetzung" ist vorhanden, die politisch-ideologische Ausrichtung passt auch – und schon kann man Verfassungsrichter/in sein.

Was die juristische Qualifikation betrifft, kommt also vom Leichtgewicht bis zur Koryphäe jeder für dieses Amt in Frage. Und in weltanschaulicher Hinsicht könnten erzkonservative stramme Rechte ebenso Verfassungs­richter/innen sein wie klassenkämpferische Linke. (Letzteres ist in Öster­reich natürlich realpolitisch ausgeschlossen.) De facto eine "rote Linie" wären vielleicht irgendwelche antisemitische, nazistische oder sonstwie explizit rassis­tische oder hetzerische Positionierungen eines Kandidaten oder einer Kandi­datin für das Richteramt. Von dergleichen ist (mir) im Falle Hauers jedoch nichts bekannt.

Allfällige Demonstrationen, Manifeste oder sonstige Aktivitäten, die darauf abzielen, Hauers etwaige Ernennung zum Verfassungsrichter verhindern zu wollen, wären also ähnlich verfehlt wie eine Demonstration mit dem Ziel der Verhinderung des Akademikerballs. Das heißt zwar keinesfalls, dass man nicht dennoch aus Anlass von Hauers allfälliger Ernennung demonstrieren könnte und sollte. ;-) Aber rechtlich-formal (oder auch mit dem Maßstab "roter Linien") wird nichts gegen eine solche Ernennung einzuwenden sein – auch wenn man sie für noch so wenig wünschenswert hält.

Ebenso wenig könnte man Hauer einen Vorwurf machen, wenn er als etwaiger Verfassungsrichter "ideologisch" agieren würde. Und zwar aus einem einfachen Grund: weil es unmöglich ist, diese Funktion "ideologiefrei" (oder anders formuliert: unter Hintanstellung der eigenen Weltanschauung) auszuüben. Dazu sind viele der Angelegenheiten, mit denen der Verfas­sungs­gerichtshof zu tun hat, einfach zu wenig "wertfrei" – bzw. umgekehrt ausgedrückt: sie sind zu sehr weltanschaulich-ideologischer Natur, als dass jemand in einer strikt neutralen, persönliche Wertungen ausblendenden Weise sich darüber ein Urteil bilden, geschweige denn ein Urteil fällen könnte. Zwei markante Beispiele seien erwähnt:

a) 2011 entschied der Verfassungsgerichtshof, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich sei, wenn in Kindergärten, in denen die Mehrheit der Kinder einem christlichen Religionsbekenntnis angehört, ein Kreuz angebracht ist (G 287/09).13) Eine Entscheidung, die zeigt, dass der Gerichtshof bei Bedarf durchaus auch schon ohne schwarz-blaue Einfärbung eine konservativ-rechte Einstellung an den Tag legte.
13) (https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_G_287-09_Noe_KindergartenG.pdf)

b) Ideologisch gesehen gleichsam in die entgegengesetzte Richtung fiel das Erkenntnis vom Dezember letzten Jahres aus, wodurch auch gleich­ge­schlecht­lichen Paaren die Schließung einer Ehe ermöglicht wird (G 258-259/2017).14)
14) (https://www.vfgh.gv.at/downloads/VfGH_Entscheidung_G_258-2017_ua_Ehe_gleichgeschlechtl_Paare.pdf)

Niemand wird ernsthaft bestreiten können, dass die Entscheidung über derartige Fragen letztendlich weltanschaulicher Natur ist. Juristisch kann mit etwas Spitzfindigkeit in solchen Fällen immer die eine oder die andere Lösung begründet werden.

Ohne Ideologie oder Weltanschauung oder persönliche Werthaltung (oder wie immer man es sonst nennen möchte) geht es also gar nicht, wenn man am Verfassungs­gerichtshof (mit)entscheiden darf. Wer das Gegenteil be­haup­tet, irrt oder sagt bewusst die Unwahrheit.

Bezogen auf die Person Hauers bedeutet das:

Ich kritisiere keineswegs, dass er als etwaiger Verfassungsrichter seine Ideologie in die Entscheidungsfindung einfließen lassen würde. Ich kritisiere vielmehr die Ideologie selbst.

Bzw. prägnanter (und emotionaler) ausgedrückt: Mir graut bei dem Ge­dan­ken, dass dieser Mann beispielsweise über die Zulässigkeit einer De­mons­tration oder – noch weitaus schlimmer (weil es dabei unmittelbar um das Schicksal von Menschen geht) – über die Abschiebung von Fremden (mit)entscheiden kann. Jedenfalls in diesen beiden Belangen hat er bereits hinreichend klargestellt, was von ihm in der Funktion eines Verfas­sungs­richters zu erwarten wäre: nämlich nichts Gutes.