Samstag, 22. Juli 2017

Pflegekosten und Erbschaftssteuer

Am 15. Oktober gibt es in Österreich Wahlen; und man darf wohl davon ausgehen, dass dies der Grund war, warum das Parlament Ende Juni spontan die Abschaffung des sogenannten Pflege-Regresses beschloss (und zwar mit den Stimmen sämtlicher Parteien, mit Ausnahme der Neos).

Im Kern geht es bei diesem Regress darum, dass pflegebedürftige Personen (und allenfalls deren Angehörige) nach ihren Möglichkeiten der öffentlichen Hand jenen Aufwand zu ersetzen haben, der ihr durch die Pflege verursacht wird.

Ob die Abschaffung wünschenswert ist oder nicht, und welche Finanzie­rungs­alternativen eher zu befürworten oder eher abzulehnen sind, das wäre gerade aus ideologisch linker Sicht differenziert zu beurteilen und soll nicht Gegenstand dieses Blogeintrags sein.

Nur eines steht fest – und zwar objektiv und somit unabhängig von weltan­schau­lichen Positionen: Der Pflegeregress war sicher keine "versteckte Erbschaftssteuer". Gerade diese unsinnige Behauptung war aber in den letzten Wochen seit der Abschaffung mehrfach zu hören. In Erinnerung ist sie mir beispielsweise von einem Politiker der Grünen (ich glaube, es war der Nationalratsabgeordnete Albert Steinhauser); gleichfalls behauptet hat es laut Parlamentskorrespondenz ein Bundesratsabgeordneter der SPÖ, Reinhard Todt:

"Das Gesetz sei ein Meilenstein, begrüßte der Wiener Bundesrat Reinhard Todt namens der SPÖ die Abschaffung des Pflegeregresses. Der beste­hende Eigenregress komme einer 100%igen Erbschaftssteuer gleich und sei eine große Belastung für Betroffene und Familien."

Vermutlich wird man bei näherer Recherche auf weitere einschlägige Wortmeldungen stoßen. Soweit sie von Politiker/innen kommen, ist das auch nicht weiter von Belang.

Bedenklich ist jedoch, dass der Unsinn auch von den Medien in die Welt gesetzt wird. So schreibt Dr. Martina Salomon in einem Leitartikel im Kurier vom 21. Juli 2017 allen Ernstes Folgendes:

"Der Regress in der jetzigen Form war eine ungerechte Erbschaftssteuer bis zu 100 Prozent – für jene, die das Pech pflegebedürftiger Eltern hatten, die ihren Besitz nicht rechtzeitig an die Nachkommen verschenkt haben."

Das ist selbstverständlich falsch. Wer sich (etwa durch eine Einrichtung der öffentlichen Hand) pflegen lassen muss, nimmt eine Leistung (konkret: eine Dienstleistung) in Anspruch, die Kosten verursacht. Sich die Kosten von dieser Person, also vom Pflegebedürftigen (bzw. in bestimmten Fällen auch von dessen Angehöri­gen), zurückzuholen – das war das Wesen des Pflege-Regresses.

Die Situation ist insofern nicht anders gelagert, als wenn wohlhabende Personen bzw. Familien sich eine private Pflege organisieren. Auch diese ist selbstverständlich nicht gratis, ja wohl sogar kostspieliger als jene durch die öffentliche Hand. Niemand würde auf die Idee kommen, hier von einer "ungerechten Erbschaftssteuer" zu sprechen. Und wenn die Eltern dank ihrer guten Verfassung keine Pflege benötigen, sondern ihr Geld für teure Kreuzfahrten verwenden oder im Casino verspielen, so mag das für die Nachkommen aus materieller Sicht zwar (ebenfalls) unerfreulich sein; aber es wäre verrückt zu behaupten, der Reiseveranstalter oder Casinobetreiber würde eine "ungerechte Erbschaftssteuer" einheben.

Dass es im Fall des Pflege-Regresses die öffentliche Hand ist, die für eine Leistung "kassiert", ändert nichts am dahinter stehenden Grundprinzip: Für die Inanspruchnahme einer Leistung, die Kosten verursacht (welche – anders als etwa bei der medizinischen Versorgung – auch nicht durch ein Versiche­rungsverhältnis gedeckt sind), hat der Leistungsempfänger den Aufwand zu ersetzen. (Und um mehr geht es ja nicht einmal: Im Unterschied zu den Preisen privater Dienstleistungserbringer dient der Pflegeregress keiner Gewinn­erzie­lung.)

Politiker/innen reden viel daher, was keine Substanz hat. Aber von der stellvertretenden Chefredakteurin einer der größten österreichischen Zeitun­gen sollte man erwarten können, dass sie zumindest über ein Mindestmaß an staatsbürgerlichem Wissen verfügt und von diesem Wissen auch Gebrauch macht, wenn sie ihre Artikel schreibt. Und zu diesem Basiswissen gehört die Kenntnis, worin das Wesen einer Steuer besteht. Das lässt sich auch vielerorts nachlesen, etwa auf einer Seite des Bundeskanzleramtes, wo es heißt:

"Steuern stehen keine unmittelbaren Gegenleistungen gegenüber, sie dienen generell der Finanzierung staatlicher Leistungen."

Wenn ich hingegen pflegebezogene Unterstützung in Anspruch nehme (bzw. nehmen muss) und den dafür entstandenen Aufwand (im mir zumutbaren Rahmen) zu ersetzen habe, dann beruht meine Zahlungsverpflichtung eben auf einer ganz konkreten Leistung, die ich beziehe.

Das kommt auch in den entsprechenden Gesetzen klar zum Ausdruck. Zwei Beispiele seien genannt:

Im Wiener Sozialhilfegesetz heißt es in § 26 Absatz 1: "Der Empfänger der Hilfe ist zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, soweit […]".

Oder ähnlich das Steiermärkische Sozialhilfegesetz in § 28: "Zum Ersatz des Aufwandes gegenüber dem Sozialhilfeträger sind verpflichtet: […]".

Von Steuer kann also keine Rede sein, von "Erbschaftssteuer" noch weniger, und von "ungerecht" schon gar nicht. Es sei denn, man ortet die Ungerechtigkeit darin, dass manche Menschen pflegebedürftig werden, während andere bis zu ihrem Tod rüstig bleiben. Aber das wäre – je nach persönlicher Überzeugung – dem Schicksal oder dem lieben Gott vorzu­werfen; sicher nicht dem Staat bzw. den Bundesländern.

Und auch der Umstand, dass manche "ihren Besitz […] rechtzeitig an die Nachkommen verschenkt haben" und sich dadurch einem allfälligen Pflege­regress entzogen, macht(e) diesen selbstverständlich nicht ungerecht. (Unge­recht wäre sonst jede Verpflichtung, vor der sich einige unredli­cher­weise drücken.) Der Umstand belegt vielmehr, wie dringend notwendig schon längst die Einführung einer tatsächlichen Erbschafts- und Schen­kungs­steuer gewesen wäre (im Übrigen nicht erst ab einem Vermögen von 1 Million Euro, wie das von der jämmerlichen und heuchlerischen SPÖ jetzt vor­ge­schlagen wird).