Donnerstag, 25. Februar 2016

Überfordertes Österreich?

"Schon wieder Salomon in diesem Blog", kann man zum folgenden Text tadelnd anmerken. Aber diese Frau liefert halt einfach so viel fantastisches Anschauungsmaterial für journalistische, inhaltliche und menschlich-morali­sche Defizite.

Sie spiegelt damit auch exemplarisch viele der Grauslichkeiten wider, die ganz allgemein unser System bzw. unsere Gesellschaft charakterisieren. So gesehen ist das, was ich Salomon in meinen Blog-Einträgen jeweils anlaste, zwar natürlich immer und ganz vorrangig eine Kritik an ihrer Person und daran, wie die Boulevardmedien arbeiten – aber es ist darüber hinaus gleichzeitig oft auch eine Kritik am "System" und/oder der Gesellschaft an sich.

Wie sehr Salomon insbesondere beim Flüchtlingsthema in Denkweise und Mentalität mit der österreichischen Gesellschaft übereinstimmt – nämlich jenem (übergroßen) Teil, der für Fremdenfeindlichkeit, Hartherzigkeit und Unmenschlichkeit steht –, geht aus diversen Stellungnahmen von ihr deutlich hervor.* 
*(Verwiesen seit etwa auf meine Blog-Artikel "Eine Rechtspopulistin, die keine sein möchte" [vom April 2015] oder "Fasching und Flüchtlingskrise" [vor wenigen Tagen].)
 
Wenn man dann noch im Internet einen Blick auf die zustimmenden Kommentare der Leser/innen zu einschlägigen Salomon-Artikeln wirft, wird einem vollends klar, welch unseliger Gesinnungsgleichklang zwischen einer rechtspopu­listi­schen Journalistin und der einschlägigen heimischen Bevölke­rung besteht.

Dazu nur zwei Beispiele von Reaktionen auf Salomons Leitartikel vom 23. Februar 2016, um den es heute primär gehen wird:

"Frau Salomon ist eine Lichtgestalt unter den heimischen Kolumnisten!
Ich kann ihren Kommentar nur vollinhaltlich unterschreiben."
schreibt ein Leser und erntet dafür 9 Mal Zustimmung (und keine einzige Ablehnung)

• Ein anderer meint:
"We say it loud, we say it clear, Frau Salomon ist die Beste hier. ;-)
In der Tat «rettet» sie die Ehre des österreichischen Journalismus."
(Die Reaktionen darauf sind wie bei der vorigen Lobeshymne: 9 Mal Zustimmung und keine Ablehnung.)

Man könnte über so viel Einfalt einfach lachen, wenn es nicht so erschreckend wäre.

Weil es seit ein-zwei Monaten wieder (und sogar mehr als je zuvor) salonfähig ist, in der Flüchtlingsfrage den starken Mann bzw. die starke Frau zu spielen und man sich damit jetzt endlich auch als "besorgte" Journalistin wieder aus der Deckung trauen kann, meldet sich Salomon wieder entsprechend massiv und aggressiv zu Wort. In den Monaten davor – während der Zeit der auch politisch und medial propagierten "Willkom­mens­kultur" (ausnahmsweise einmal ein Fall von Propaganda für einen guten Zweck!) – war Salomon bei dem Thema auf Tauchstation. Ich erinnere mich, dass ich mit Neugier erwartete, endlich einen Lage­kommentar oder eine Positionierung von ihr zu lesen – aber da kam nichts! Nun wissen wir, warum: ihre Ansichten waren bei der flüchtlingsfreundlichen Stimmungslage, die in den Medien damals angesagt war, nicht opportun. (Sie hat in dieser Zeit halt anderen Schmarren produziert, könnte man sarkastisch anmerken, was ich hiermit auch tue.)

Ausdruck der neu (zurück)gewonnenen journalistischen Freiheit, beim Ausländerthema wieder ungehindert (und selbstverständlich ungeniert) auf die Pauke hauen zu können (und damit eben bei einem Großteil der Leser/innen sicherlich Zustimmung und Sympathie zu ernten), ist auch Salomons Leitartikel im Kurier vom 23. Februar 2016, den sie mit "«Prügelknabe» Österreich" übertitelt hat. (Im Internet hier zu lesen.)

Die Anführungszeichen, die sie um das Wort Prügelknabe gesetzt hat, kann man getrost ignorieren. Aus ihrem Kommentar ist mühelos zu erkennen, dass sie Österreich tatsächlich in dieser Rolle sieht. Sie leitet das daraus ab, dass verschiedene deutsche Politiker einerseits und die EU andererseits Österreich für seine Obergrenzen-Beschlüsse kritisiert haben.*
*(Siehe zur ursprünglichen Obergrenze meinen Blog-Eintrag "Österreich und die Flücht­­linge". Inzwischen sind neue, tagesbezogene Obergrenzen hinzugekommen. Der EU-Brief an die österreichische Innenministerin, um den es geht, ist hier als pdf-Datei zu finden: http://www.srf.ch/content/download/9250540/108208465/version/2/file/160218_brief_eu-kommission_srf.pdf)

Salomon vermutet hinter dieser Kritik innerdeutsche parteipolitische Motive (bevorstehende Landtagswahlen) und meint dann weiter aus Anlass des EU-Briefes an die österreichische Innenministerin:

"Pikant ist, dass vergangene Woche ausgerechnet ein Grieche gegen Österreich vorgeschickt wurde – EU-Kommissar Avramopoulos. Der Herr ist für Migrationsfragen zuständig und dürfte vergessen haben, dass sein Heimatland eigentlich die EU-Außengrenze schützen müsste." 

Der erste der beiden eben zitierten Sätze ist schon wieder mal nichts Anderes als polemischer Mist. Avramopoulos ist halt aufgrund seiner Zuständigkeit für die betreffende Materie der Verfasser und Absender dieses Briefes. Dass er "vorgeschickt" worden sein soll (Von wem? Von der EU-Kommission als Kollektiv oder gar von Deutschland?), ist damit genauso aus der Luft gegriffen wie die Behauptung, dass die Situation "pikant" sei, weil "ausgerechnet ein Grieche" zum Einsatz kam. Wenn EU-Kommissar XY seinen Job macht, agiert er bekanntlich nicht als Repräsentant seines Herkunftslandes. So viel an Wissen traue ich auch Frau Dr. Salomon zu. Also was soll ihr Satz daher Anderes sein als eine unseriöse Polemik?

Und der Vorhalt, dass "sein Heimatland eigentlich die EU-Außengrenzen schützen müsste"? Der entspricht natürlich ganz der egoistisch-schäbigen Haltung Salomons, Österreichs und der EU insgesamt. (Wie ich anfangs gesagt habe: Was diese Frau tagaus-tagein so schreibt, spiegelt häufig jene Grauslichkeiten wider, die unser System als Ganzes kennzeichnen.) Es ist eine Haltung, die sich so auf den Punkt bringen lässt: "Die unangenehmen Dinge wälzen wir auf die Staaten an den EU-Außengrenzen ab. Wir als Binnenstaaten möchten zwar die Vorteile der EU-Zugehörigkeit uneinge­schränkt genießen, von den Problemen wollen wir aber gefälligst verschont bleiben."

Und weil es an dieser Stelle perfekt dazupasst, sei die schreckliche Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zitiert (sozusagen eine Art politisches Pendant zu Salomon & Co.). In der Nachrichtensendung "Zeit im Bild 2" meinte sie vor wenigen Tagen (am 18. Februar 2016) wörtlich: 

"… in diesem Brief [Anm.: von Avramopoulos] wird hingewiesen darauf, dass Migranten im ersten sicheren Land, das sie betreten, einen Asylantrag zu stellen haben (*) und auch dort bleiben sollen. Da frage ich mich, warum bekomme ich als österreichische Innenministerin – oder warum bekommt die österreichische Bundesregierung – einen derartigen Brief? Offensichtlich ist der Adressat hier falsch, denn jeder weiß, dass Österreich keine EU-Außengrenze hat und somit sicherlich nicht erstes sicheres Land sein kann. Und ich stimme aber völlig überein, dass es vollkommen rechtskonform ist, dass der Migrant dort den Antrag zu stellen hat – in dem sicheren Land, das er betritt – und auch dort zu bleiben hat. Wenn sich alle danach halten würden, hätten wir kein Problem, und wir müssten auch keine nationalen Maßnahmen setzen." 

*) [an dieser Stelle Zwischenbemerkung der Moderatorin: "also meistens in Griechenland"]

Deutlicher, als es die Innenministerin getan hat, kann man die Niedertracht wohl kaum formulieren: Alle über die Türkei nach Griechenland kommenden Flüchtlinge hätten sich dort dem Asylverfahren zu unterziehen und dort auch zu bleiben. (Analoges würde natürlich für Italien und die afrikanischen Flüchtlinge gelten, die über das Mittelmeer dort hinkommen.) Und auf diese Weise – so die Innenministerin in vorbildlicher Klarheit – "hätten wir kein Problem".

Das Problem hätten die jeweiligen Mittelmeer-Anrainerstaaten der EU (derzeit eben insbesondere Griechenland), aber das wäre Figuren wie Mikl-Leitner eben völlig egal, denn das wahre (und einzige) Ziel wäre erreicht: Wir hätten keines.

Dass sich diese unmögliche Person bei näherer Nachfrage vermutlich auf das skandalöse Dublin-Abkommen beziehen würde, soll hier gar nicht thematisiert werden; denn ein solches Abkommen könnte man ja ändern bzw. abschaffen, wenn der politische und menschliche Wille dazu (auf gesamteuropäischer Ebene) vorhanden wäre. Dass es Mikl-Leitner (und natürlich nicht nur ihr, und natürlich nicht nur Österreich) an einem derartigen Willen mangelt, ist aus ihrer Stellungnahme eindeutig zu erkennen. Die "dringend notwendigen Reformen", die sonst von Politik und Medien permanent in allen möglichen Bereichen eingefordert werden – beim Dublin-Abkommen sind sie kein Thema. Warum das so ist, hat Mikl-Leitner glasklar deutlich gemacht.

Zurück zu Salomon:

Mikl-Leitner schiebt Griechenland die Alleinverantwortung für das Schicksal der dort ankommenden Flüchtlinge zu; Salomon macht das Gleiche hinsichtlich jener, die noch gar nicht auf griechischem Boden angekommen sind, indem sie herblassend schreibt, Avramopoulos "dürfte vergessen haben, dass sein Heimatland eigentlich die EU-Außengrenze schützen müsste".

Ob das in Anbetracht der geographischen Situation (lange Meeresgrenze, zahlreiche griechische Inseln nahe des türkischen Festlands) in wirkungsvoller Weise überhaupt möglich wäre (viele bezweifeln das), sei hier ausgeklammert; ebenso die Frage nach den Methoden, die bei diesem Schutz zur Anwendung kommen würden; weiters die Frage, was mit all den Menschen (asylrechtlich und humanitär) geschehen soll, vor denen sich die EU dann allenfalls erfolgreich "geschützt" hätte. Beschränken wir uns auf den Kernpunkt von Salomons Postulat: Der Grenzschutz sei Sache Griechenlands. Und wenn das nicht so klappt, wie wir uns das vorstellen, dann erteilen wir eben auf Seite 2 des "Kurier" diesbezüglich eine arrogante Belehrung.

An dieser Stelle ist auch Außenminister Sebastian Kurz zu erwähnen (sozusagen die nächste unmögliche Person in der wenig illustren Runde): Er meinte nämlich vor wenigen Wochen, Einreisebeschränkungen nach Österreich für Flüchtlinge seien sinnvoll, weil solche Restriktionen einen – wörtlich – "Dominoeffekt" in den Balkanstaaten auslösen würden, der dann bis Griechenland ginge, das dadurch in die Lage gebracht werde, sich von der EU endlich "helfen" lassen zu müssen. Eben auch ein richtiger Menschenfreund, der schnöselhafte Außenminister (und damit erwartungs­gemäß einer der Spitzenpolitiker mit den höchsten Beliebtheitswerten in der Bevölkerung). Worauf sich die "Hilfe" beziehen sollte, die man dem störrischen Griechenland eben unter dem Zwang eines Dominoeffekts – mit tausenden Menschen allein auf der Balkanroute als Dominosteinen – angedeihen lassen müsste, das sagte Kurz nicht. Aber anzunehmen ist, dass er damit (neben Hotspot-Errichtung usw.) auch die im wahrsten Sinn des Wortes tatkräftige Unterstützung beim Schutz der EU-Außengrenze meinte.

In Salomons Leitartikel geht es dann folgendermaßen weiter:

"Wir können uns aber mittlerweile wie Griechenland darauf berufen, dass 90.000 Asylwerber pro Jahr eine Überforderung bedeutet – aber zu Unmöglichem kann völkerrechtlich niemand verpflichtet werden." 

Zynisch könnte man sagen: Klar ist das eine Überforderung für jemanden wie Salomon, die ja schon daran zweifelt "dass wir ein christlich geprägtes Land sind, in dem man Deutsch spricht", weil man "(b)ei so mancher U-Bahn-Fahrt in Wien (...) eines Besseren belehrt (wird"). (vollständiges Zitat und Quellenangabe am Schluss meines vorigen Blog-Eintrags, siehe hier) 

Die Berufung auf vermeintliche Überforderung und Unmöglichkeit stellt allerdings eine solche unverschämte Dreistigkeit dar, dass Zynismus allein keine ausreichende Antwort darauf ist.

Natürlich erweist sich schon der polemische Vergleich mit Griechenland – das (nicht zuletzt aufgrund der von der Troika und damit auch von der EU aufgezwungenen Sparmaßnahmen) wirtschaftlich und sozial darnieder­liegt – als völlig deplatziert. Aber das nur nebenbei.

90.000 Asylwerber pro Jahr seien eine Überforderung bzw. gar eine Unmöglichkeit für Österreich? Mal ganz davon abgesehen, dass es jedenfalls darauf ankäme, auf wie viele Jahre sich das bezieht, hat es wenig Sinn, dieser Behauptung mit Zahlen und Fakten zu widersprechen – denn um die geht es den Verfechtern der Überforderungs- und Unmöglich­keits­these ja gar nicht. Sie versuchen damit nur krampfhaft, eine völkerrechtlich stichhaltige Rechtfertigung für die Restriktionen in der Flüchtlingsfrage zu finden. (Salomon ist natürlich bei Weitem nicht die Erste, die sich dieses Tricks bedient; Gleiches hat etwa Mikl-Leitner schon vor einiger Zeit getan.)

Aber dennoch schlagwortartig einige Anmerkungen dazu:

In den an Syrien grenzenden Ländern lauteten die Zahlen der dort lebenden syrischen Flüchtlinge im Sommer letzten Jahres (sie werden mittlerweile sicherlich höher liegen):

Türkei: 1.805.255 (zur aktuellen Zahl siehe unten)
Irak: 249.726
Jordanien: 629.128
Libanon: 1.172.753
(Quelle für diese Zahlen ist ein UNHCR-Bericht vom 9. Juli 2015, veröffentlicht hier)

Man mag ins Treffen führen, dass diese Länder mehr kulturelle Gemeinsamkeiten mit den Syrien-Flüchtlingen aufweisen als zum Beispiel Österreich oder andere europäische Staaten (etwa in religiöser bzw. sprachlicher Hinsicht), was dort ihre Unterbringung und eine allfällige Integration erleichtere. Aber auch bei Berücksichtigung dieses Umstandes sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache darüber, wer hier tatsächlich moralisch berechtigt ist, von Überforderung zu sprechen.

Um nur Werte der zwei kleineren Staaten aus der Region jenen Österreichs grob gegenüberzustellen (alle Zahlen laut Wikipedia, Werte gerundet, teils verschiedene Stichtage):


Einwohner
Fläche
Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner und Jahr
(in US-Dollar)
Österreich
8,7 Mio.
84.000 km²
49.000 $ (nominal) / 42.600 $ (KKP**)
Jordanien
6,7 Mio.
90.000 km²
5.500 $ (nominal) / 6.500 $ (KKP)
Libanon
5,9 Mio.*
10.500 km²
6.500 $ (nominal)

*) (wohl einschließlich der Flüchtlinge)
**) (KKP = unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität) 

Was den Libanon betrifft, hat der ARD-Korrespondent Stefan Ehlert in Hinblick auf Deutschland bereits im Oktober 2014 folgende Rechnung angestellt:

"Würde Deutschland im Verhältnis so viele Flüchtlinge aufnehmen wie der Libanon, dann wären das 25 bis 30 Millionen Menschen."
(Quelle: https://www.tagesschau.de/ausland/libanon-fluechtlinge-syrien-101.html) 

Wie diesbezüglich ein Vergleich Österreich – Libanon ausfallen würde, mag sich jeder selbst ausrechnen.

Nun kann und soll natürlich die Belastungssituation, die für Länder wie den Libanon besteht, kein Maßstab oder Vorbild dafür sein, wie es (beispiels­weise) in Österreich laufen sollte. Ebenso wenig darf verschwiegen werden, dass viele andere europäische Länder noch weniger (teils viel weniger) als Österreich tun (darauf wird unten nochmals kurz einzugehen sein). Aber (und darum sind die zuvor angestellten Vergleiche relevant):

Sich angesichts der oben genannten Vergleichszahlen zu trauen, bei allenfalls 90.000 jährlichen Flüchtlingen in Österreich (sei es auch mehrere Jahre hintereinander) von einer Überforderung bzw. gar von einer völkerrechtlich zu berücksichtigenden Unmöglichkeit (!) zu sprechen – das kann man eben nur als unverschämte Dreistigkeit bezeichnen; unverschämt vor allem auch gegenüber jenen Ländern im Nahen Osten, die – trotz ungleich schwierigerer Bedingungen in ökonomischer (aber auch politischer) Hinsicht – weitaus mehr leisten (müssen) als Österreich.

Was die Türkei betrifft, hat der ORF-Korrespondent in Brüssel, Peter Fritz, in der gestrigen "Zeit im Bild" die Relationen deutlich gemacht: Die Türkei habe inzwischen 2,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, das seien mehr als in der gesamten EU!

Bezüglich EU-Gesamteuropa gibt es auch eine andere bemerkenswerte Stellungnahme: Ich traute meinen Ohren nicht, als in der ORF-Pressestunde (am 21. Februar) ausgerechnet und sogar der Präsident der Industriellen­vereinigung, Georg Kapsch (also jemand, von dem mich ideologisch Welten trennen), in bemerkenswerter Deutlichkeit aussprach, dass die Kapazi­täts­grenzen in Europa bei Weitem nicht erreicht seien. Kapsch meinte wörtlich: 

"[…] Denn eines verstehe ich nicht: Wie ein Wirtschaftsraum – oder ein Raum mit Menschen – von 500 Millionen nicht in der Lage ist, fünf Millionen Flüchtlinge aufzunehmen; vorausgesetzt, man verteilt sie richtig." 

Dass Kapsch bei solchen Feststellungen die Aussicht auf ein entsprechendes Potenzial an billigen und willigen Arbeitskräften für die Wirtschaft im Auge haben könnte, ist natürlich eine durchaus plausible Vermutung. Aber wie immer dem auch sei. Der eben zitierte Satz trifft als solcher ins Schwarze.

Ebenso kann ich Kapsch verblüffenderweise nur zustimmen, wenn er erklärt: 

"Was wir [= Österreich] getan haben, ist: wir haben eine Obergrenze definiert. Das funktioniert ja schon völkerrechtlich nicht wirklich aus meiner Sicht, verfassungsrechtlich nicht wirklich aus meiner Sicht. Aber andere Länder, die weigern sich [Flüchtlinge aufzunehmen], haben aber keine Obergrenze, die machen einfach andere Maßnahmen. Was auch nicht in Ordnung ist." 

Stimmt. Und anstatt alle Energie darauf zu verwenden, die unwilligen europäischen Staaten unter entsprechenden Druck zu setzen, damit diese ihren Teil der europäischen (und vor allem auch humanitären!) Gesamtverantwortung tragen, kapituliert die österreichische Politik gleichsam kampflos vor diesen Staaten, vergießt Krokodilstränen über deren mangelnde Solidarität, bemitleidet sich selbst für die vermeintliche Überforderung und nimmt das alles zum (willkommenen) Anlass bzw. als Vorwand, um in Absprache mit den Balkanstaaten Dominoeffekte zu Lasten der Flüchtlinge und Griechenlands in Gang zu setzen und auf diese Weise Sympathien der rechtslastigen und xenophoben einheimischen Bevölkerung zu gewinnen.

Zum Schluss des Blog-Eintrags noch ein Blick auf den Schluss des Salomon-Leitartikels. Dort gibt es die Schuldzuweisung (die erwartungs­gemäß ausfällt), kombiniert mit einer apokalyptischen Untergangsvision, wie sie Salomon ja gern präsentiert, wenn Entwicklungen nicht so laufen, wie es ihrem Welt- und Menschenbild entspricht. Sie schreibt: 

"Faktum ist: Deutschland hat Mühe, seine «Willkommenskultur» unter Kontrolle zu bringen. Die EU wurde damit in eine echte Krisensituation gebracht, am Ende könnte die europäische Idee erloschen sein." 

Sollte das tatsächlich geschehen, hätte sich eines gezeigt: dass die europäische Idee mit Humanität unvereinbar war. Und damit hätte diese Idee ohnedies ihr verdientes Ende gefunden.