Beim Kentern eines Flüchtlingsbootes im Mittelmeer sind vor einigen Tagen hunderte Menschen ums Leben gekommen.
Dr. Martina Salomon,
die stellvertretende Chefredakteurin des "Kurier", reagiert darauf in
ihrem Leitartikel vom 23. April 2015 genau so, wie es von ihr zu
erwarten ist: eiskalt, gefühllos, menschenverachtend.
Bereits
als Titel des Leitartikels wählt Salomon die dümmste Parole, die in
Zusammenhang mit dem Thema Flüchtlinge/Zuwanderung reflexartig von allen
zu hören ist, die auf Denken, Gewissen und Menschlichkeit gerne
verzichten (und das sind bekanntlich hierzulande nicht wenige):
"Europa kann nicht allen helfen"
Es
geht zwar nie um "alle", wenn dieser dumme Ausspruch fällt, sondern
immer um konkrete Einzelfälle bzw. Einzelschicksale – und für genau
diese wäre von den Sprücheklopfern konkret zu belegen, warum man für sie
angeblich nichts tun kann. Aber ein pauschales "Man kann nicht allen
helfen" (bzw. "Wir können doch nicht alle aufnehmen") erspart natürlich
die Mühe, sich mit dem jeweiligen Fall inhaltlich auseinanderzusetzen.
Ein
Übriges tut die Pietätlosigkeit, die sich darin zeigt, eine solche
Parole zur Überschrift eines Leitartikels zu machen, dessen Anlass
Flüchtlinge sind, die bereits tot – nämlich vor wenigen Tagen im Meer
ertrunken – sind. (Es ist ja dieses konkrete Bootsunglück, das derzeit
allerorts Berichte, Diskussionen und eben auch Leitartikel auslöst.)
Im Text meint Salomon dann unter anderem:
Von den Flüchtlingsbewegungen
"profitieren zynische Schlepperorganisationen und 'Warlords'. Das Kentern von Flüchtlingsbooten ist deren zynisches Kalkül."
Und danach versteigt sie sich zu folgender eigenartiger Aussage:
"Leider werden die nun entsendeten Rettungsschiffe dem Millionengeschäft dieser Verbrecherbanden nutzen."
Inwiefern
"nutzen"? Der kryptische Satz kann eigentlich nur so interpretiert
werden: Die Rettung von Schiffbrüchigen animiere weitere Menschen zur
Flucht übers Mittelmeer – bzw. die Schlepper dazu, ihre Tätigkeit
fortzusetzen, weil die von ihnen nach Europa verschifften Flüchtlinge im
Ernstfall ohnedies mit Hilfe rechnen könnten. Damit wird (von Salomon)
gleichsam der Vor- und Nachteil der Rettung von Menschenleben abgewogen.
Anders gesagt: die Notwendigkeit der Rettung von Menschenleben wird
durch den (behaupteten) Umstand relativiert, dass solche Maßnahmen dem
"Millionengeschäft" von "Verbrecherbanden" nützen würden (ob das
tatsächlich überhaupt zutrifft, sei dahingestellt). Oder noch
drastischer formuliert: Wer Menschen aus Lebensgefahr rettet, helfe
damit "leider" dem Geschäft der Schlepper.
Wohin eine solche
Sichtweise im nächsten Schritt führen kann, wird spätestens dann
deutlich, wenn man Salomons gefühllose Kosten-Nutzen-Rechnung mit jener
Frage in Beziehung setzt, die sie im Untertitel des Leitartikels stellt:
"Wer legt den Schleppern das Handwerk?"
Da ist es dann
nämlich nicht mehr weit zu der Schlussfolgerung: "Lieber in Seenot
geratene Flüchtlinge zur Abschreckung ertrinken lassen, als sie zu
retten. Nur so kann man den Schleppern das Handwerk legen."
So
explizit schreibt Salomon das natürlich nicht. Und wahrscheinlich würde
sie auch entrüstet zurückweisen, derartige Überlegungen im Sinn zu
haben. Mag ja sein … Und dennoch stellt sich die Frage: Was veranlasst
ein Journalistin dazu, einen Satz wie jenen über die entsendeten
Rettungsschiffe, die leider dem Geschäft der Schlepper nützen würden, zu
denken, zu formulieren und in den Leitartikel zu schreiben?
Eines
zeigt sich damit jedenfalls: "Zynisches Kalkül" gibt es nicht nur bei
"Verbrecherbanden" irgendwo im fernen Afrika, sondern auch bei ganz
harmlos wirkenden Journalistinnen in österreichischen
Boulevardzeitungen.
Und dieses zynische Kalkül zieht sich durch
den ganzen Leitartikel. Seine deutlichste Ausformulierung erreicht es in
den zwei Schlusssätzen. Dort meint Salomon lapidar:
"Australien
nimmt übrigens keine Flüchtlinge mehr aus Schlepperbooten auf. Das hat
das Massensterben im Meer dort ab 2014 beendet."
Diese beiden Sätze wollen wir uns unter mehreren Aspekten etwas näher ansehen:
a)
Das Erste ist schlicht die menschliche Seite. Dazu braucht man eigentlich
nicht viel zu sagen: "Aus den Augen, aus dem Sinn" ist Salomons
kaltschnäuzige Logik. Die lästigen Eindringlinge sind wieder am offenen
Meer bzw. in den Ländern, aus denen sie aufgebrochen sind. Damit ist die
Sache für uns erledigt – und wir können auch noch scheinheilig
behaupten, auf diese Weise Menschenleben gerettet zu haben.
b)
Dann gibt es einen handfesten rechtlichen Aspekt:
Jene
Vorgangsweise, die Australien (laut Salomon) praktiziert, ist vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bei
Mittelmeer-Bootsflüchtlingen jedenfalls in Hinblick auf Libyen für
rechtswidrig erklärt worden. Das entsprechende Urteil vom Februar 2012
ist hier im Original nachzulesen (englisch):
Fall Hirsi Jamaa und andere gegen Italien
bzw. hier in deutscher Übersetzung (als pdf-Datei zum Herunterladen):
deutsche Version, pdf
Eine
kurze Erläuterung und Kommentierung der Urteils gibt es auf der
Homepage von Amnesty International Schweiz. Dort heißt es auszugsweise (Quelle, aufgerufen am 29. April 2015):
"BeschwerdeführerInnen
waren 24 Flüchtlinge aus Eritrea und Somalia, die im Mai 2009 von
Libyen aus nach Italien aufgebrochen waren, auf hoher See von der
italienischen Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht
worden waren. Der EGMR hat der Klage mit der Begründung stattgegeben,
niemand dürfe der Folter oder unmenschlicher Strafe ausgesetzt werden.
Denise Graf, Asylrechtsexpertin bei Amnesty International, begrüsst das Urteil des EGMR: «Mit dem heutigen Urteil hat der
Gerichtshof den Schutz von Flüchtlingen auf Hoher See entscheidend
gestärkt. Die italienische Grenzpolizei durfte die Bootsflüchtlinge
nicht nach Libyen zurückbringen, weil ihnen dort unmenschliche
Behandlung und die Abschiebung in ihre Herkunftsländer Somalia und
Eritrea drohten. Zudem hatten die Flüchtlinge keine Möglichkeit,
Rechtsmittel einzulegen. Damit verstösst das italienische Vorgehen gegen
die Europäische Menschenrechtskonvention. Amnesty International fordert
die EU-Mitgliedsstaaten nach diesem Urteil auf, Schutzbedürftigen
endlich sicheren Zugang nach Europa und Recht auf Asyl zu gewähren.»"
Mit
anderen Worten: Was sich Australien erlaubt (und möglicherweise
rechtlich auch erlauben darf?), ist (jedenfalls) zwischen der EU und
Libyen (und von dort kommen ja derzeit offenbar die meisten
Bootsflüchtlinge im Mittelmeer) ein Verstoß gegen die Menschenrechte!
Das hindert freilich Salomon nicht an ihrem süffisant-zynischen Verweis
auf die australischen Methoden.
(Nur nebenbei sei erwähnt: Erwartungsgemäß wäre es für Salomon auch "ein Fortschritt", wenn "(a)m
afrikanischen Kontinent (…) sichere UNHCR-Anlaufstellen geschaffen
werden, die den Schutzbedarf der Asylwerber vorab prüfen". Auch
diese Form der "Lagerung" von Menschen, um sie nur ja nicht nach Europa
zu bekommen, wäre jedoch menschenrechtlich – und in humanitärer Hinsicht
sowieso – höchst fragwürdig.)
c)
Ein dritter Aspekt, unter
dem das Australien-Faible Salomons, aber darüber hinaus ihr gesamter
Leitartikel betrachtet werden sollte, ist der
gesellschaftspolitisch-ideologische:
Was Salomon schreibt und denkt, entlarvt sie als Rechtspopulistin - oder
exakter formuliert: als eine Journalistin, die genau jenes Gedankengut
propagiert, das rechtspopulistische Politiker/innen bzw. einschlägige
Gruppierungen verbreiten. Das wäre für sich genommen nicht weiter
erwähnenswert (und ja auch nicht weiter verwunderlich). Die Sache wird
jedoch dadurch pikant, dass die "Rechtspopulisten" (wie auch immer man
diese definieren oder kategorisieren mag) in Kurier-Kommentaren so gerne
als etwas dargestellt werden, zu dem man a) selbst nicht dazugehöre und
das b) eine Gefahr für das Land bedeute, die es abzuwenden gelte.
Im konkreten Leitartikel klingt das so:
"In Wahrheit sind die riesigen Wanderungsbewegungen das
große politische Thema des Jahrhunderts. Denn sie könnten die
Sozialsysteme der Ankunftsländer überfordern, genauso wie deren
politische Strukturen. Rechtspopulisten sind im Vormarsch."
Man
beachte das Bild, das auf diese Weise suggeriert wird: Dort (in der
europäischen Welt außerhalb der eigenen Redaktionsstube) marschieren die
Rechtspopulisten an – hier sitzt die verantwortungsbewusste Journalistin, die voller Besorgnis über diese Entwicklung als Mahnerin
auftritt.
Nun mag Frau Dr. Salomon in der Tat kein Mitglied der
FPÖ sein; sie wird vielleicht auch bei keinen Aufmärschen der Pegida
teilnehmen oder sonstwie in unmittelbarer Verbindung mit Gruppierungen
stehen, die man landläufig mit dem Begriff "rechtspopulistisch"
assoziiert. Aber was hat das schon zu bedeuten? Jeder Satz ihres
Leitartikels könnte genauso von einem waschechten Rechtspopulisten (bzw.
deren weiblichen Pendants wie Marine Le Pen) stammen.
Zum Beispiel, wenn es heißt:
"Aber
hält es Europa wirklich politisch und sozial aus, weitere Millionen (in
der Mehrzahl muslimische) Afrikaner aufzunehmen, deren Herkunftsländer
in Stammeskriegen, Zerstörung und Korruption gefangen sind?"
Ein Unterschied zu den Botschaften irgendeines Rechtspopulisten besteht hier bestenfalls im Satzbau:
Die
rechtspopulistischen Politiker oder Versammlungsredner (bzw. die ihnen
gleichzuhaltenden Journalisten in Medien à la "Kronen Zeitung") würden
explizit formulieren: "Europa hält es politisch und sozial nicht aus
[…]!"
Salomon kleidet genau dieselbe Aussage pseudo-verschämt in eine rhetorische Frage: "Aber hält es Europa wirklich politisch und sozial aus […]?"
Das
anschaulichste Beispiel für die Deckungsgleichheit der Gedankenwelt
zwischen Salomon und Rechtspopulisten liefern aber eben die beiden
letzten Sätze ihres Leitartikels. Sie seien nochmals zitiert:
"Australien
nimmt übrigens keine Flüchtlinge mehr aus Schlepperbooten auf. Das hat
das Massensterben im Meer dort ab 2014 beendet."
Diese
Botschaften bzw. dezenten Denkanstöße (die natürlich wieder ganz arglos
als vermeintlich wertfreie Feststellungen verkleidet wurden) haben mich
dazu veranlasst, bei Google die Suchbegriffe "Australien, Schlepper"
einzugeben. Und siehe da: Gleich als erster einschlägiger Link (nach
zwei-drei anderen zu Traktormarken und Ähnlichem) kommt da folgender
(aufgerufen am 29. April 2015):
http://www.pi-news.net/2015/04/schlepper-australiens-push-back-funktioniert/
Es handelt sich um einen Artikel in einem Blog bzw. Portal namens "Politically Incorrect". Die Überschrift des Artikels lautet:
"Schlepper: «Australiens 'push back' funktioniert.»"
Im Text heißt es dann unter anderem:
"Ihre Aufgabe [Anm.: jene von Militärschiffen der australischen Marine]:
Sämtliche Boote mit sog. 'Flüchtlingen' zu stoppen und
zurückzuschicken. Sollten die Schiffe nicht mehr seetauglich sein, werden die Insassen
in Rettungsboote gesteckt und zurückgebracht. 'Push back' heißt die
Aktion. Hingegen wurde […] an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der
Europäischen Union (Frontex) genau das 2014 per EU-Verordnung verboten.
Frontex muss alle 'Flüchtlinge' ausschließlich in Richtung Europa
'retten'."
Im weiteren Verlauf der Ausführungen werden dann die entsprechenden ideologischen Schlussfolgerungen formuliert:
"Klar
ist, dass die Masseneinwanderung unter dem Deckmantel des Asyls
bedrohliche Formen annimmt und Hauptfeinde sind nicht einmal die
'Asylanten', sondern die Kollaborateure der europäischen Asylindustrie
in Redaktionen, Flüchtlingshilfeorganisationen und EU-Institutionen.
Diese
Kollaborateure sind auch die eigentlichen Geldgeber und Verbündeten der
Schlepper, die uns anscheinend am Nasenring in der Mittelmeer-Manege
herumführen. Wie einfach dem abzuhelfen wäre, zeigt Australien."
Ein
Zufall, dass sich Verfasser (oder Verfasserin) des eben zitierten
Artikels und Frau Dr. Salomon in ihrer Wertschätzung für die
australische Vorgangsweise einig sind? Oder dass sie sich in der
Diagnose einig sind, dass "die Masseneinwanderung unter dem Deckmantel des Asyls bedrohliche Formen annimmt" (bei Salomon korrespondierend: "Aber
hält es Europa wirklich politisch und sozial aus weitere Millionen (in
der Mehrzahl muslimische) Afrikaner aufzunehmen, […]?").
Das seien Sichtweisen, die doch nicht mit Rechtspopulismus in Zusammenhang stünden? Sie tun es sehr wohl:
In den ausführlichen "Leitlinien" des Blogs/Portals "Politically Incorrect" (http://www.pi-news.net/leitlinien) wird dessen ideologische Ausrichtung näher dargelegt. Dort heißt es zum Beispiel:
"Aufgrund der immer mehr um
sich greifenden Ideologie des Multikulturalismus hat bereits eine
schleichende Aushöhlung unserer Rechte stattgefunden. Die weitgehende
Akzeptanz islamischer Ethik und Kultur bedeutet für Deutschland und
Westeuropa zwangsläufig eine Entstehung von Parallelgesellschaften, in
denen weder das Grundgesetz noch die Menschenrechte wirksam werden
können."
"In
vielen Redaktionen ist es längst erklärtes Programm, für den Multikulturalismus und die absurd überzogene Sozialstaatlichkeit zu
berichten."
"Doch
von einem Staat, der sich anmaßt, immer tiefer in unsere privaten
Angelegenheiten einzugreifen (von der sozialstaatlichen Lohnenteignung
über diverse Zwangsabgaben hin zu immer weitreichenderer Überwachung),
droht eine schleichende Erodierung unserer Rechte und Freiheiten auszugehen, wenn er von seinen Bürgern verlangt, sich der Ideologie des Multikulturalismus zu unterwerfen."
Da muss man schmunzeln, wenn sich "Politically Incorrect" in einem seiner Untertitel zum Ziel setzt, "News gegen den Mainstream"
schreiben zu wollen. Von wegen! Als ob man nicht in
Salomon-Leitartikeln haarscharf das Gleiche lesen könnte. (Von der
"Kronen-Zeitung" oder Gratisblättern ganz zu schweigen.) "Gegen die Islamisierung Europas" heißt ein weiterer Untertitel. Kommt mir auch vertraut vor, wenn ich an manche Salomon-Kommentare denke (siehe dazu etwa diesen Blog-Eintrag von mir). "Für Grundgesetz und Menschenrechte"
steht ebenfalls dort. Sorgen macht man sich hierbei zwar um deren
mangelnde Wirksamkeit in islamisch geprägten "Parallelgesellschaften"
(siehe obiges Zitat aus den Leitlinien). Aber das hehre Motto hindert
offensichtlich nicht, das zuvor angesprochene Urteil des Europäischen
Menschenrechtsgerichtshofs im Fall Hirsi Jamaa gegen Italien
geflissentlich zu ignorieren – auch darin besteht eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit zwischen den Leuten bei "Politically Incorrect" und Frau Dr. Salomon.
Aufschlussreich sind aber auch beiderseits am Rand der Website von "Politically Incorrect"
platzierte Werbebanner, deren, sagen wir mal "rechtspopulistische
Orientierung" unschwer zu erkennen ist. Zwei davon finde ich im
gegebenen Zusammenhang besonders interessant: Eines davon lädt zum
"Abendspaziergang" von "PeGiDa – Berlin" am 4. Mai 2015. Ein zweites
ähnliches Werbebanner ist mittlerweile weg, weil der Termin bereits
vorüber ist: Geworben wurde damit vor einigen Tagen für eine
Pegida-Versammlung in München am 27. April 2015.
Wo ist da also
inhaltlich und ideologisch ein Unterschied zwischen Rechtspopulisten und
Salomon? Weit und breit nirgends! Nur dass Salomon auch noch feig ist:
Die deklarierten Rechtspopulisten stehen wenigstens zu ihrer Gesinnung.
Salomon hingegen heuchelt Sorge, weil "Rechtspopulisten im Vormarsch (sind)" und propagiert gleichzeitig genau deren ideologische Linie. Ein Meisterstück an journalistischer Durchtriebenheit.
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Gegenstandpunkte zu Salomon – auch im "Kurier":
Korrekterweise
muss man festhalten, dass jedenfalls bei diesem Thema (Asylwesen,
Flüchtlingsproblematik) der "Kurier" insgesamt nicht mit der Einstellung
seiner stellvertretenden Chefredakteurin gleichzusetzen ist. (Bei
anderen, insbesondere, wirtschaftsnahen und innenpolitischen Themen
fallen die Artikel hingegen weitaus stromlinienförmiger aus – egal, von
wem sie verfasst wurden.)
Von Journalist/innen wie etwa Josef
Votzi und Doris Knecht kamen in diversen Artikeln erkennbar humanere
Äußerungen, als Salomon sie artikuliert. Das ist beileibe kein Grund für
ein Loblied auf die Zeitung, soll aber auch nicht unerwähnt bleiben.
Zwei Beispiele seien herausgegriffen:
1.
Josef Votzi hat im Kurier vom 26. April 2015 (also drei Tage nach Salomons Pamphlet) einen Leitartikel veröffentlicht ("Flüchtlinge brauchen Gipfel der Gutwilligen").
Was er schreibt, liest sich teilweise wie das genaue Gegenstück zu
Salomons Ausführungen. Vereinzelte Parallelen mag es zwar auch geben,
etwa wenn er meint: "Öffnet Europa seine Grenzen uferlos, droht es politisch und sozial zu kippen."
Natürlich wäre dieser Satz auch bei Votzi kritisch zu hinterfragen;
aber man kann davon ausgehen, dass er von ihm jedenfalls in redlicher
Absicht (und nicht als Teil einer ideologisch motivierten Stimmung- und
Panikmache) geäußert wurde. Denn Votzis Gesamtbetrachtung des Themas, in
deren Rahmen dieser Satz steht, ist eine gänzlich andere als jene
Salomons oder etwa jene auf der Website von "Politically Incorrect". Ich
denke nicht, dass Votzis Leitartikel mit den Äußerungen irgendeines
Rechtspopulisten verwechslungsfähig wäre.
Hier einige Zitate aus dem Leitartikel, die das illustrieren:
• "Hunderte
Menschen versuchen noch immer fast täglich, von der libyschen Küste aus
ins gelobte Land Europa überzusetzen. Daran haben auch die jüngsten
Boots-Katastrophen mit über tausend Toten nichts geändert. Niemand
flieht ohne Not, niemand lässt seine Heimat möglicherweise für immer aus
Jux und Tollerei hinter sich."
• "Die
Vorstellung, dass Europa mit Flüchtlingen aus aller Welt überschwemmt
werde, macht massiv Angst – und eine sachliche Debatte schwerer denn je.
Wer nicht in den großen Chor jener einstimmt, die simpel skandieren
'Wir können doch nicht alle nehmen', wird mit aggressiven Mails
überhäuft. Tenor: Wie viele Flüchtlinge sitzen eigentlich schon in Ihrem
Wohnzimmer?"
• "Die
angstbeißerische Antwort 'Macht endlich alle Grenzen zu Wasser und zu
Lande für illegale Migranten dicht' ist nicht nur unmenschlich, sondern
auch ineffizient im Sinne ihrer Erfinder."
• "[…]
Anstoß für ein Gipfelgespräch der Gutwilligen im Flüchtlingsdrama […]:
Wo und wie kann das reiche Österreich noch mehr für die vielen
Verzweifelten rund um uns tun."
Das klingt deutlich menschlicher als Salomon.
2.
Zum Thema zu Wort gemeldet hat sich auch Niki Glattauer in seiner Kolumne "Schule und der Rest des Lebens"
(Kurier vom 27. April 2015, Seite 17). Sprachlich-stilistisch ist das
Ergebnis zwar (wie üblich) miserabel; und die Attitüde, alles krampfhaft
auf lustig und pseudo-locker "rüberbringen" zu müssen, nervt auch
gewaltig (vor allem, wenn es um ein so ernstes Thema geht).
Aber
– und so weit muss man die Dinge fairerweise trennen – von der
Botschaft bzw. von der grundlegenden Einstellung her finde ich Glattauer
bzw. seinen Kommentar wohltuend. (Mal abgesehen von der diskussionswürdigen Behauptung, dass das "heutige Europa […] ohne das Neue Testament nicht denkbar" sei. Doch diese religiöse Penetranz sei ihm in Anbetracht seiner sonstigen Ausführungen nachgesehen.)
Was
(eher nebenbei) zu bemängeln ist: Er kritisiert die Berichterstattung
des "Boulevards" und meint damit einseitig offenbar irgendeine
Gratiszeitung (arg.: "wie gratis zu lesen war"). Was
aber spätestens nach der Lektüre meines Blog-Artikels deutlich sein
sollte: Seine Kritik lässt sich fast eins zu eins auf die Ausführungen
"seiner eigenen" stellvertretenden Chefredakteurin übertragen.
Unter der treffenden Überschrift "Pharisäer" schreibt Glattauer unter anderem:
• "Der [Anm.: der Teufel] trägt
ja jetzt den Namen 'Schlepper'. Sauft sich an, raucht sich ein, casht,
wie gratis zu lesen war, zuerst 185 Euro für eine Schwimmweste und
pfercht dann sein für den 'Sklavenmarkt' bestimmtes Opfer ins Unterdeck,
auf dass es bei der absichtlich herbeigeführten Havarie gar nicht
irrtümlich überleben kann. So gesehen verantwortet also der 'Schlepper'
die 'Tragödie im Mittelmeer', mafiös und bös’, wie er dem Wesen nach
ist. Zum Glück, oder besser: gottlob hat ihn der Boulevard enttarnt,
sonst müssten wir von einer 'Naturkatastrophe Mittelmeer' sprechen. Und
natürlich trägt der Sklave selbst ein gehöriges Maß an Mitschuld, wenn
er nicht bleiben will, wo der liebe Gott ihn hingestellt hat, oder sich
wenigstens in einem nahe gelegenen Lager (am besten Sahara) für Europa
anstellen, schon gar, wenn er nicht einmal schwimmen kann. Außerdem, wo
kämen wir hin, wenn wir diese zig Millionen […] aufnehmen würden?
Immerhin gelte es ja, das 'europäische Wertesystem' zu erhalten..."
• "Das
heutige Europa, erkläre ich meinen Schülern, ist ohne das Neue
Testament nicht denkbar und dieses nicht ohne Jesus von Nazareth. Wofür,
frage ich meine Schüler, würde er eurer Meinung nach eintreten: für das
bedingungslose Retten jedes einzelnen Menschen in Not, egal, unter
welchen Umständen? Oder für Auffanglager, Drohnen gegen verdächtige
Fischerboote und das Grenzschutzprogramm der EU? Was glaubt ihr, wofür
er – und wofür die Pharisäer?"